Vortrag mit Lars Quadfasel zu 25 Jahren Wiedervereinigung
Neue deutsche Zärtlichkeit - der Behemoth im 21. Jahrhundert
Vom 2. bis zum 4. Oktober werden die Einheitsfeierlichkeiten zum 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung in Frankfurt begangen. Im Zentrum der Bundesrepublik werden Festivitäten unter dem Motto „Grenzen überwinden“ veranstaltet. Als spränge der Zynismus dieser Aussage nicht ins Gesicht: Während die Militarisierung der Außengrenzen der „Festung Europa“ den Versuch der praktischen Umsetzung dieser Losung für tausende Flüchtige tödlich enden lässt, geriert man sich als freundlicher Hegemon, als Mittelmacht mit Herz. Selbst Bundeswehrsoldaten sollen im Mittelmeer also auf die sogenannten Schleuser und Menschenschmuggler Jagd machen, die es nur dort geben muss, wo der legale Weg verunmöglicht wurde. Gleichzeitig werden Flüchtlinge in Frankfurt mit Handshake und Willkommenspaketen statt, wie in Heidenau, mit Brandsätzen begrüßt. Frankfurt, Crack- und Bankenhauptstadt, die sich im Programmheft zu den Feierlichkeiten selbst eine „bunte Mischung aus Multi-, Sub-, Hoch- und Ebbelwoi-Kultur“ bescheinigt, kann dazu nun seit neuestem auch eine neue deutsche „Willkommenskultur“ vorweisen. Eine Willkommenskultur, bei der es immer wieder so aussieht, als wäre sie nur die Fortsetzung von Winterhilfswerk und Fluthilfe mit anderem Objekt, ein Projekt der Reproduktion eigener Kollektivität und noch dazu PR-Kampagne für die „Mutter Theresa“ (Spiegel, Stuttgarter Zeitung) der Nation und ihren deutschen Hofstaat.
Trotzdem: Erfreulich, wenn rassistische Kontinuitäten im postnazistischen Staat eingetauscht wurden gegen weltmännisches Kalkül? Denn offene Sympathiebekundungen für das letzte Projekt eines Europas unter deutscher Führung finden sich dabei lediglich noch in den ökonomischen und sozialen Wastelands; das Klientel, das sich dem deutsche Souverän am verzweifelsten an den Hals wirft, gilt dabei als Schandfleck, als abgehängtes Lumpenproletariat, während sich in weiten Teilen der Republik ein anti-rassistischer Ausbeutungspragmatismus zumindest partiell Geltung verschaffen konnte.
Wir möchten uns nun die Frage stellen, wie es somit aktuell um das Verhältnis von deutscher Ideologie und Ideologie in Deutschland steht, d.h. wie Krisenlösung, Ausnahmezustand kapitalistischer Verwertung und das aktuelle Projekt eines Europas unter deutscher Führung sich zueinander verhalten. Und zuletzt: Wie verhält sich die Linke nun dazu, die mit ihrem eigenen kleinen Jubiläum, 25 Jahren „Nie wieder Deutschland“, sich ebenfalls wieder in Frankfurt einfindet?