David Meier-Arendt 3. November 2016 - 17:49
Die vermeintliche Ruhe, die dem Zusammenbruch des realsozialistischen Imperiums und der damit einhergehenden Neuordnung des europäischen Ostens gefolgt war, wird seit einigen Jahren zusehends in Frage gestellt. Während es eben noch so schien, als wären Krieg, Diktatur und Katastrophe nun für alle Zeiten gebannt, zumindest aus dem eigenen näheren Umfeld, so überschlagen sich heute die Ereignisse. Volkswirtschaften kollabieren im europäischen Süden und werden unter rigorose Spardiktate gezwungen, noch etwas weiter entfernt drängen Bürgerkriege neue Menschenmassen auf das europäische Festland und nahezu überall durchläuft ein unübersehbarer Rechtsruck die politische Landschaft – von dem, was mal Graswurzel-Bewegunggenannt wurde, bis hin zu tatsächlichen Regierungen.
Hierbei ist allein schon der Verweis auf die stetig wiederkehrende Vokabel der Krise (Finanz-Krise, Euro-Krise, Flüchtling-Krise oder Ukraine-Krise) ein Beleg für den wechselseitigen Zusammenhang der thematisierten Ereignisse, und die Unzulänglichkeiten solcher Thematisierungen wiederum selbst ein Indiz dafür, dass eine isolierte oder isolierende Betrachtung nicht hinlänglich ist, um eine kritische Haltung einzunehmen. Das bedeutet nun, dass weder von einer rein ökonomischen, noch einer politischen Krise die Rede sein kann; Weder eine alleinige Betrachtung des Umgangs, etwa mit den Flüchtlingen („Danke Merkel“), dem Brexit oder gar des Standes der sogenannten europäischen Wertegemeinschaft, helfen sonderlich, die Lage zu überblicken. Genauso wenig wie sich all dies nun ausschließlich in die Schablone einer an Marx geschulten Kritik der politischen Ökonomie pressen ließe, als je ökonomische Krisenerscheinungen mit entsprechenden Klassen- und Verwertungsinteressen.
Dieses Zusammenhangs versucht sich nun die Ringvorlesung des Wintersemesters 2016/17 anzunehmen, denn die Beleuchtung der einzelnen Momente kann nicht separat geschehen Hier kommt ein grundlegendes Moment von Gesellschaftskritik zum Ausdruck; das Gesellschaftsverhältnis soll in der Betonung der Ebene der Vermittlung thematisiert werden und so neben einer (klassisch) materialistischen Perspektive auf Gesellschaft auch die hierdurch bedingten ideellen Momente anhand des Nationen- und Gemeinschaftsbegriffes betrachtet werden. Denn einerseits stehen Staaten, wie auch die Einzelnen in einem dauerhaften Konkurrenzverhältnis und reproduzieren dieses, um bestehen zu können. Andererseits ist der Reproduktion dieses Verhältnisses ein ideell-imaginärer und kollektivierend-identifizierender Zusammenschluss innewohnend, der sich auch in den auftretenden regressiven und (staats-)autoritären Tendenzen ausdrückt.
Eingangs wird Rainer Trampert (2.11.2016) auf eben diese Situation und auf ihre wechselseitigen Momente eingehen.
Darauffolgendwird Tomasz Konicz (9.11.2016) auf die wirtschaftlichenDimensionen zu sprechen kommen, um die Entwicklungen in Europamaterialistisch auslegen zu können.
Dass die derzeitige Migrationsbewegung mit diesen ökonomischen Grundlagen und Interessen zu tun hat und ihr nicht allein mit sozialtechnologischer oder ökonomischer Rhetorik begegnet werdenkann, sondern dass auf die Bedürfnisse der MigrantInnen politischgeantwortet werden muss, darauf kommt Leo Elser (16.11.2016)zu sprechen.
Der moderne Nationenbegriff baut wesentlich auf dem Vergesellschaftungsmodell des Kapitalismus auf und legitimiert sichdurch Wahrung und Aufrechterhaltung dieser Vergesellschaftung. Daniel Keil (23.11.2016)wird auf dieses Modell eingehen und versuchen eine Kritik daran zu formulieren, indem er einenzentralen Widerspruch in einer regulatorischen Wettbewerbskonstitution und der fehlenden Vermittlung ihrerWidersprüche in den Klassenfraktionen sieht, so dass der Ausweg in autoritäre Formen jene Widersprüche nur noch mehr verstärkt. Diesdrückt sich in einer Zuwendung und Akzeptanz der Logik identitärer Modelle und damit in einer regressiven Kollektivität aus.
Darananschließend kann Ivo Eichhorn (30.11.2016)auf die alltäglichen Momente dieser identitären Logik verweisen,die sich oftmals als schlecht getarnter Rassismus oder Nationalismusausdrücken. Inwiefern diese Momente banalisiert wurden, steht hier zur Debatte.
Um diese Momente der Alltagsreligion (Detlev Claussen) näher zu beleuchten hilft die Theorie des autoritären Charakters, wie sie das Institut für Sozialforschung in ihrer Studie über die Authoritarian Personality entwickelt hat. Hierzu wird Jan Weyand (7.12.2016) überderen Aktualität berichten. Empirisch konkretisieren wird dies Melanie Götz (21.12.2016) mit ihrer Perpektive auf die Burka-Diskussion.