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Prüde Pornographie. Kulturindustrie, Sexualität und Geschlechterverhältnis - Lars Quadfasel

Mittwoch, 6. November 2013 - 18:30
Ort: 
Schlosskeller

Prüde Pornographie
Kulturindustrie, Sexualität und Geschlechterverhältnis

 

Referent: Lars Quadfasel

 

»Kunstwerke«, heißt es bei Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung, »sind asketisch und schamlos, Kulturindustrie ist pornographisch und prüde.« Bis heute bringt diese Bestimmung das Verhältnis der Kulturindustrie zum Geschlechtlichen präzise auf den Punkt. Zwar wissen alle, dass Arsch und Titten die Auflage heben und ein Bestseller oder Blockbuster das notwendige Quantum nackte Haut zu liefern hat; niemand aber käme darum auf die Idee, das organisierte Amusement darum als Hort von luxe, calme et volupté zu begreifen. Ganz im Gegenteil: Der Betrieb betrügt in seinem endlosen Strom sexualisierter Reize um genau das, was er so ungeniert anzupreisen scheint. Was, als Lust um der Lust willen, Erfüllung verhieße, verwandelt er in endlosen Aufschub: in Reklame für sich selbst.
Nie darf die Lust zu sich selbst, d.h. zu ihrem Recht kommen; stets wird sie für ein anderes in den Dienst genommen. Durchgelassen wird sie nur, wo sie sich ins große Ganze einpasst – und damit, weil die totale Vergesellschaftung die Asozialität der Lust nicht dulden kann, gegen sich selber kehrt. Jedes Bild des Begehrens wird erkauft durch die Moral von der Geschicht, in deren Rahmen es sich eingespannt findet (und die bis heute fast stets noch ungebrochen auf den Dreiklang von Sünde, Perversion und bürgerliches Geschlechterverhältnis zielt). Selbst der Bildungsbürger, der über die keimfreien Posen und klemmigen Zoten der Massenmedien die Nase rümpft, braucht den Unterleibseinsatz vor allem für eins: als Signal, dass hier, in Quality-TV oder Avantgardetheater, ›Tabus gebrochen‹ und also Unterhaltung für den gehobenen Bedarf produziert wird. Das Urteil über die kulturindustrialisierte Geschlechtlichkeit schließlich spricht jene Sparte, die als offen amoralische scheinbar aus dem Setting herausfällt: die Pornoindustrie, die zu den nackten Leibern und Kopulationsszenen die geballte Häme und Verachtung, die der Betrieb für seine Konsumenten und ihr Begehren nur übrig hat, fast überdeutlich ins Bild setzt. Und ganz dementsprechend sieht die dieses Begehren dann auch aus.
Zu beklagen ist darum nicht, wie die Pfaffen aller Couleur es so gern tun, die aggressive ›Sexualisierung des Alltags‹; sondern vielmehr, wie der Sexualisierung ihre eigene Entsexualisierung, die Verachtung aller Lust, eingeschrieben wird.