Roger Behrens – Zeitlose Mode. Zum Punk
Vortrag: Roger Behrens – Zeitlose Mode. Zum Punk
Was ist Punk? Gibt’s den noch, heute? Und wenn ja, warum? – Und noch zwei Fragen: »Was macht eigentlich Pussy Riot? Plant die letzte ernstzunehmende Punkband bereits ihren nächsten großen Auftritt?« Diese beiden Fragen stellt Michael Pilz, und er weiß auch Antworten: »Der Westen liebt Pussy Riot für ihre Politik, nicht für ihre Kunst. Dabei ist ihnen in Russland gelungen, woran die Sex Pistols in England gescheitert sind.« Michael Pilz ist Journalist. Er schreibt über Pussy Riot als ›Perfekte Punks‹ und berichtet ansonsten über »Pop in Kürze«, wie er seine Feuilleton-Kolumne in der Springerzeitung ›Die Welt‹ nennt; dort, genauer: fast ganzseitig in der Rubrik »Kultur« der ›Welt am Sonntag‹ erschien auch sein ›Nachruf auf die Letzten ihrer Art‹, eben seine zusammengekrickelte Expertise über Pussy Riot und Punk.
Punk ist in der Gesellschaft angekommen, von der er fliehen wollte, ja, die er ästhetisch wie historisch zu überwinden trachtete: Weil die Gesellschaft – zumindest in der Grundstruktur ihrer Möglichkeit und Wirklichkeit – im Niedergang des Globalen Kapitalismus ebenfalls dort wieder gelandet ist, wo sie ungefähr Anfang der 1970er Jahre im Zuge weltökonomischer Neoliberalisierung aufstieg. Schon damals, in seinen Anfängen, geriet der Punk zu einer Ideologie, die schließlich gut zu einer vermeintlich postmodernen Welt, die das Ende der Geschichte ausrief, als Haltung, ja als Lebensweise, ergo Lifestyle passte: eine zeitlose Mode, so wie der Jazz die zeitlose Mode für die Moderne war. Das konstatierte zumindest Theodor W. Adorno in seinem vielbeachteten wie auch viel verachteten Essay ›Über Jazz‹, veröffentlicht 1953.
Die frühen Fünfziger: das waren die Jahre, in denen in den Vereinigten Staaten die ersten Rock ’n’ Roll- und Soul-Platten erschienen und eine Mittelstandsjugend mit dieser Musik sich anschickte, kulturell auszurasten ebenso wie konsumgesellschaftlich einzurasten. In den nachfolgenden Jahren verdichtete sich das zum Pop, verfeinerte sich dynamisch in immer weiter ausdifferenzierten Teil-, Gegen-, Subkulturen. Der Punk war innerhalb des Pop eine erste Bewegung, die selbstreflexiv diese – d. i. ihre eigene – Dynamik durchbrechen wollte. Massenkulturell setzte der Punk fort, was Dada und Surrealisten im Handgemenge mit der Hochkultur versuchten. Und Punk scheiterte auch wie die Kunstavantgarden des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.
Martin Büsser beschrieb diesen Weg: ›Von Punk zu Hardcore und zurück‹; doch es scheint kein Zurück zu geben, die zeitlose Mode entfesselt den Punk von aller historischen Signifikanz. Hardcore bot dazu nur künstlerische Variationen. Die Ästhetisierung der Politik ist total. Und Punk ist womöglich nur einer der akzeptablen Soundtracks dazu (um sich irgendwie in dieser Welt einzurichten …).
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