Liberalismus und Religiosität. Zur historischen Genese eines vermeintlichen Gegensatze | Sophia Trippe
Liberalismus und Religiosität werden heute zumeist als Gegensätze gehandelt. Wo letztere nicht schon im Vorhinein als wesentlich inkompatibel mit der Anerkennung liberaler Werte angesehen wird, wird doch zumindest erwartet, dass sie zurückgestellt wird, sobald der Bereich der privaten Existenz verlassen wird. Politik als Sphäre der kollektiven Entscheidungsfindung soll sich rein auf dem Fundament säkularen Denkens und säkularer Prinzipien begründen und nicht bestimmt werden durch die partikularen Glaubenssätze dieser oder jener Religionsgemeinschaft oder Konfession. Die größten Errungenschaften moderner Gemeinwesen – individuelle Freiheitsrechte, Gewaltenteilung und -beschränkung, religiöse und weltanschauliche Toleranz - resultieren, so die Erzählung, aus dieser Emanzipation vom vor-neuzeitlichen Primat der Theologie.
Ein Rückgang auf die Quellen liberalen Denkens in den Werken von Hobbes, Locke, Milton und Harrington zeigt jedoch ein anderes Bild. In seinem Werk „The Hebrew Republic“ argumentiert der amerikanische Historiker Eric Nelson dafür, die Entstehung der Idee moderner Staatlichkeit und liberaler Werte im Werk dieser Denker nicht als einen Prozess abnehmender, sondern zunehmender Integration religiös begründeter Argumentationen zu verstehen. Der Vortrag folgt diesem Versuch, die historische Genese des Liberalismus aus der engen Auseinandersetzung mit vor allem biblischen Quellen nachzuvollziehen und sucht einen Beitrag zum Verständnis der Frage zu liefern, in welchem Sinne auch heute noch (quasi-)religiöse Affekte zum Erhalt der liberalen Wertordnung beitragen.