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Schlecht getauft. Zur Religionskritik nach Freud und christlichem Antijudaismus | Tom Uhlig

Mittwoch, 26. Juni 2019 - 19:30 bis 20:30
Ort: 
221qm [806qm] Alexanderstraße 2, 64289 Darmstadt

Die explizite Auseinandersetzung mit Antisemitismus findet sich in Freuds Werk eher verstreut, teilweise in Fußnoten. Selbst die Massenpsychologie und Ich-Analyse, in der Freud sich den zwei großen antisemitischen Institutionen Österreichs seiner Zeit widmet – der Kirche und dem Heer –, wird diese ihre grundlegende Eigenschaft nicht dezidiert behandelt. In einer frühen Notiz zu Otto Weininger (1909) nahm Freud noch an, der Kastrationskomplex sei „die tiefste unbewusste Wurzel des Antisemitismus, denn schon in der Kinderstube hört der Knabe, daß dem Juden etwas am Penis – er meint ein Stück des Penis – abgeschnitten werde, und dies gibt ihm das Recht, den Juden zu verachten." Allerdings verfolgte er diese Linie von Emaskulation, Frauenhass und Antisemitismus nicht weiter, sondern suchte in seinem Spätwerk Der Mann Moses und die monotheistischen Religionen (1939) nach theologisch-mythischen Motiven, welche dem antisemitischen Ressentiment zugrunde liegen und befindet, es sei die erhöhte Vergeistigung der jüdischen Religion gegenüber dem Christentum, welche den Juden den Hass zugezogen hätte. Vom paganistischen Götzendienst ausgehend sei Gott im Monotheismus zu einem abstrakten Prinzip gemacht worden, ein Vorgang, der sich mit dem von Freud früher beschriebenen Mythos des Vatermordes durch die Bruderhorde parallelisieren lässt: Durch die Ermordung der konkreten, das heißt stofflichen Verkörperung des Gesetzes wird dieses abstrakt internalisiert und dadurch ungleich viel wirkmächtiger. Im Judentum werde nach Freud diese Struktur aufrechterhalten, indem der Gottesmord konsequent verdrängt und damit wirksam bleibe, während das Christentum das abstrakte Gesetz abzuschütteln trachtet. Das Christentum wird Gott abermals verdinglicht, um sogleich dann wieder umgebracht zu werden, womit sich die Christen paradoxerweise frei der Sünde wähnen würden: „Wir haben freilich dasselbe getan, aber wir haben es zugestanden und wir sind seither entsühnt." Dass dieser Wunsch nach Selbstentlastung zu einer Wiederkehr des Schuldgefühls führt, zeigt dessen Abwehr in der antisemitischen Unterstellung, welche den Juden den Christusmord zulasten legt. Die Rückkehr des abstrakten Gesetzes, die Strafe, welche doch eigentlich gesühnt sein sollte, erscheint als vom Anderen aufgezwungen: Dabei ist „[i]hr Judenhaß ist im Grunde Christenhaß" beziehungsweise der Hass gegen die eigene Christianisierung und die nicht abgegoltene Schuld – die Christen sind „schlecht getauft". In dem Vortrag sollen Grundzüge Freuds Religionskritik skizziert und der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung die Judenfeindschaft darin hat.