Ein buddhistischer Geist des Kapitalismus? Arbeit, Erschöpfung und das achtsame Selbst | Greta Wagner
Häufig treten soziale Leiden nach Phasen rasanten sozialen Wandels auf. Die Erschöpfungskrise, die sich in einer Vielzahl von Diagnosen und Symptomen zeigt, kann als subjektive Reaktion auf den Formwandel der Arbeitswelt und eine Verwettbewerblichung der Sozialordnung verstanden werden. Aber soziale Leiden können umgekehrt auch soziale Wandlungsprozesse in Gang setzen, weil sie Ausgangpunkte für Kritik darstellen. Der Kapitalismus reagiert auf die Kritiken, die an ihm formuliert werden, indem er sie endogenisiert, so zeigen Boltanksi und Chiapello in Der neue Geist des Kapitalismus und schließen damit an die Überlegungen Max Webers an. In Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus zeigt Weber, dass radikale Protestanten im 16. und 17. Jahrhundert einen Gedankenkosmos und eine Lebensführung prägten, die entscheidend zur Entstehung des modernen Kapitalismus beitrugen. Welchen neuen Geist und welche neuen Praktiken bringt die Kritik am Kapitalismus hervor, die ihren Ausgang beim Leiden an den entgrenzten und subjektivierten Arbeitsverhältnissen nimmt?
Das gelassene Annehmen ständigen Wandels, Vertrauen in große Netzwerke sowie das Anpassen eigener Ziele und Wünsche an immer neue Gegebenheiten sind Schlüsselkompetenzen im flexiblen Netzwerkkapitalismus und buddhistische Praktiken wie Achtsamkeitsübungen bieten Ressourcen und Coping-Strategien ebenso wie ein metaphysisches Sinnangebot für diese soziale Ordnung. Es ist unter anderem das buddhistische Versprechen unbegrenzten Potentials im Selbst, das eine soziale Ordnung, die auf permanenter Wertsteigerung basiert, auf ein neues legitimatorisches Fundament stellt - und dies ganz losgelöst von den religiösen Wurzeln dieses Versprechens.