Zur Kritischen Theorie - Grundlegungen und Gegenwart
Der Begriff „Kritische Theorie“ weckt vermutlich nicht nur bei Studierenden der Geistes- und Sozialwissenschaften eine Reihe von Assoziationen. Alternative Bezeichnungen wie „Frankfurter Schule“ und „Freudo-Marxismus“ oder Namen wie Adorno, Horkheimer und Marcuse sind ebenso Teil eines Kanons des Halbwissens, wenn überhaupt je gehört, wie aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, die von der Unmöglichkeit eines richtigen Lebens im Falschen oder dem Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus handeln. Aber was ist an der Kritischen Theorie eigentlich „kritisch“ und wie ist es 2015 um ihre Aktualität bestellt? Wer sich mit derlei Fragen ernsthaft beschäftigen möchte, hat leider immer seltener die Gelegenheit, Veranstaltungen zum Thema zu besuchen, da der universitäre Wissenschaftsbetrieb, auf Grund seiner Umstrukturierung zu einer neoliberalen Lernfabrik, immer weniger Raum in seinem offiziellen Programm für solche zulässt. Vor diesem Hintergrund veranstaltet der AStA der TU Darmstadt im laufenden Wintersemester eine Ringvorlesung, die sich mit Grundlagen und Aktualität der Kritischen Theorie auseinandersetzt.
Die Reihe beginnt am 21. Oktober mit Dirk Braunsteins und Nico Bobkas Vortrag „Kritische Theorien – Marx und die Frankfurter Schule“. Die Referenten diskutieren Marx' politische Ökonomie als eine kritische Theorie der Unvernunft gesellschaftlicher Totalität und legen dar, dass sie als solche zentraler Bestandteil der Frankfurter Schule war. Ljiljana Radonić skizziert am 04. November die Funktion der „Psychoanalyse als kritische Theorie der Gesellschaft“ im Denken Adornos, Horkheimers und Marcuses und zeigt die Bedeutung psychoanalytischer Begriffe für Gesellschaftstheorie im Allgemeinen und Antisemitismustheorie im Besonderen auf. Unter dem Titel „Dialektik der Aufklärung: Über die Möglichkeit einer versöhnten Gesellschaft“ rekonstruiert Viet Anh Nguyen Duc am 18. November Adornos und Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“ unter besonderer Berücksichtigung des Zusammenhangs von Selbstbeherrschung, Naturbeherrschung und sozialer Herrschaft. In seinem Vortrag „Mit den Ohren Denken – Adornos Rezeption von Musik“ arbeitet Martin Niederauer am 02. Dezember den gesellschaftskritischen Gehalt Adornos Philosophie der Musik heraus. Jörg Finkenberger spricht am 16. Dezember über die „Grundlagen einer kritischen Theorie des Staates“ und setzt sich in seinem Vortrag über das Verhältnis von Staat und Kapital bzw. Staat und Recht unter anderem mit Carl Schmitt auseinander. In seinem Vortrag „Bildung als Unterhaltung. Zum Science Slam als Format postmoderner Wissenschaftskommunikation“ zeichnet Magnus Klaue am 13. Januar die Veränderungen nach, die der Begriff der Kommunikation seit der Zeit Adornos durchlaufen hat. Kernthese seines Vortrags ist, dass diese Veränderung auch dazu führt, dass sich Denken zunehmend in Spiel, Performance und Unterhaltung verwandeln muss, in dieser Verwandlung jedoch letztlich sein spielerisches Moment, die Freiheit zur Sache und zum Ausdruck einbüßt, die es zum Denken machen. Am 27. Januar diskutiert Andrea Truman unter dem Titel „'Die Dialektik der Aufklärung'. Eine Kritik der Geschlechterverhältnisse“, wie sich das Denken der Kritischen Theorie für die feministische Theoriebildung fruchtbar machen ließe und lässt. „Postmoderne Seinslehre – Über die Unmöglichkeit poststrukturalistischer Gesellschaftskritik“ lautet schließlich der Titel des Abschlussvortrags, in dem Alex Gruber am 10. Februar die Rezeption kritischer Theoretiker durch poststrukturalistische Philosophinnen und Philosophen wie Judith Butler, Jacques Derrida oder Michel Foucault kritisiert.
Aufgrund von Renovierungsarbeiten finden die Veranstaltungen am 21. Oktober, 04. und 18. November im Hörsaal S103/23 im alten Hauptgebäude der TU Darmstadt statt. Zu allen weiteren Vorträgen wird, wie in den vergangenen Semestern auch, in den Darmstädter Schlosskeller eingeladen. Wie immer sind Studierende aller Fachrichtungen ebenso willkommen wie Nicht-Studierende. Alle Veranstaltungen beginnen um 18:30, der Eintritt ist frei.
Weitere Aufzeichnungen aus diesem Semester: