Y. I. 13. April 2019 - 17:12
Auch für dieses Semester haben sich einige eurer Mitstudent_innen die Mühe gemacht, sich in verschiedene Fragestellungen und Themenkomplexe einzuarbeiten und diese nun wöchentlich als Autonomes Tutorium anzubieten. Für euch also die sehnlichst vermisste Gelegenheit, endlich den Anschluss an heißt diskutierte Debatten zu finden, endlich ein tieferes Verständnis von Wissenschaft und Gesellschaft zu erarbeiten, endlich die von verschulten Modulplänen ausgesparten Ansätze zu ihrem Recht zu bringen und endlich Einsichten zu gewinnen, die ihren Zweck nicht mit bestandener Klausur erfüllen.
Autonome Tutorien widmen sich also Themen, die im straffen Lehrplan der Form und dem Inhalt nach keinen Platz finden. Sie bieten die Möglichkeit, eigenen wissenschaftlichen Interessen ungezwungen nachzugehen und sie in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu stellen. Das ist angesichts des stetigen Drucks im Studienalltag zwar leider häufig kaum möglich, der Erfahrung nach finden sich in den Tutorien aber dennoch viele Studierende ein, denen das Thema am Herzen liegt und die die Zeit und Muße mitbringen, sich der Sache aufmerksam zu widmen. Und gerade bei schwierigeren Themen werden Wissenshierarchien nicht gegeneinander ausgespielt, sondern alle Teilnehmer_innen mit einbezogen.
Solltet ihr an einem der geplanten Termine keine Zeit haben, meldet euch bei den Leiter_innen des Tutoriums. Manchmal ist eine Terminänderung in Absprache mit den Teilnehmer_innen möglich. Auch ein späterer Einstieg ist kein Problem. Für eventuelle Raum- und Terminänderungen schaut vorher hier nach.
Wir hoffen auf euer reges Interesse und freuen uns auf eure Teilnahme!
Solltet ihr allgemeine Fragen zum Projekt haben, schreibt uns gerne an , bei Fragen zu Tutorien, schreibt den jeweiligen Tutor_innen einfach direkt.
Ihr möchtet selbst ein Tutorium anbieten? Gegen Ende der Vorlesungszeit wird eine Bewerbungsfrist durch Aushänge und auf der Homepage des AStA bekanntgegeben. Die eingereichten Konzepte werden dann anonymisiert und von einer vom AStA gestellten Auswahlkommission diskutiert und ausgewählt. Alle weiteren Informationen dazu findet ihr auf unserer Übersichtsseite zur Ausschreibung.
Die Tutorien:
- Geschichtsphilosophie — Kultur(industrie) und Apokalypse
- Zurück zur Natur? Zwischen (Post-)Romantischer Kapitalismuskritik und Präfaschismus
- Legalize it? Gesellschaft ohne Strafrecht?
- Israel – Grundzüge und Entstehung des jüdischen Staates
- Warum Lachen? – Über Humor, Satire und Spaßkritik
- Die ewigen Antiwestler – Zur Kritik am Eurasismus, Antiamerikanismus und anderer Scheußlichkeiten
- Das politische Wissen von Expert*innen – Zwischen Technokratie und Ignoranz
- Entpolitisierte Gesellschaft und politische Subjektivität
- Der bedrohte Mann? – Zur Entwicklung neuer Männlichkeitskulte im Internet
- „Fully-automated luxury queer space communism“ – Zum Selbstverständnis neuer linker Bewegungen im Netz
- Eine Politische Ökonomie der Geschlechter? Zum Verhältnis von Feminismus und Marxismus
- Ästhetische Dummheit
- Zur Sprach- und Erkenntniskrise der Wiener Moderne
- Über die Aktualität des Faschismusbegriffs im Kontext seiner historischen Entstehungsgeschichte
Geschichtsphilosophie — Kultur(industrie) und Apokalypse
Untergangs- und Endzeitfilme, Zombieapokalypsen und Superheldenfilme die die Macht ihrer Helden hinterfragen — und sich dennoch wiederholen. Was zeigt uns die Kulturindustrie über das Geschichtsbewusstsein der Gesellschaft?
Aufbauend auf der Fortschritts- und Geschichtskritik der Kritischen Theorie, soll sich in diesem Tutorium der Bearbeitung des Themas der Apokalypse und der Zukunftsvorstellungen in der Kunst und Kulturindustrie gewidmet werden. Die Kenntnis dieser Kritik ist keine Voraussetzung zur Teilnahme am Seminar.
Zum einen werden wir im Seminar reaktionäre Kritiken an der sogenannten Fortschrittsgläubigkeit lesen. Begriffe wie der der Kultur, Technik und des Schicksals, wie sie sich bei Friedrich Nietzsche, Oswald Spengler, Friedrich Georg Jünger und Martin Heidegger wiederfinden, sollen zur Erhellung des Endes der Geschichte als des Immergleichen beitragen und helfen, die neuralgischen Punkte festzumachen, an denen sich reaktionäre, konservative und progressive Vorstellung von Geschichte und Gesellschaft scheiden und überschneiden. Ganz im Sinne dessen was Adorno über das Verhältnis von Walter Benjamin zur Ontologie sagte, dass „die entscheidenden Differenzen zwischen den Philosophen allemal in Nuancen sich verstecken, und [...] am unversöhnlichsten zueinander steht, was sich ähnelt [...]“, wollen wir uns ins Kleinste versenken, um etwas an dieser Gesellschaft erkennen zu können.
Auf Grundlage dieser Auseinandersetzungen und mit Hilfe von Kritiken der Kulturindustrie und einzelner Kunstwerke, wie Adornos Versuch das Endspiel zu verstehen, werden wir uns dann endlich der zeitgenössischen kulturindustriellen Aufbereitung der geschichtlichen Themen widmen.
Montags 14:25 – 15:55
Erstes Treffen: 29. April
Kontakt: Tonguç (
)
Ort: S1|03/11
Zurück zur Natur? Zwischen (Post-)Romantischer Kapitalismuskritik und Präfaschismus
Aufblühend aus den Ritzen des erdrückend durchrationalisierten zivilisatorischen Gehäuses, lässt sich gegenwärtig die Wiederkehr eines emphatisch-romantischen Naturbegriffs beobachten. Von der Mineralwasserwerbung übers Lifestylemagazin, bis zum Spiegel-Bestseller über Bäume, Bienen und Co.: Allerorts begegnen uns Motive einer harmonischen, zauberhaften, unberührten Natur. Nicht selten wird dabei die Vorstellung suggeriert, dass das akute Unbehagen am gesellschaftlichen Status Quo, nicht nur seinen Ursprung in der Trennung des Menschen von jener ach-so-tollen Natur habe, sondern dass es sich auch lindern ließe, würden wir nur auf die eine oder andere Weise zu ihr zurückkehren – etwa als kürzlich Charlotte Roche in der SZ zur „Stadtflucht“ aufrief („Der Indianer in mir vermisst echte Erde unter den Füssen“).
Die Grunderfahrung einer „Zerrissenheit“ (Honneth) von Mensch und Natur ist seit der Romantik, von Schiller bis zu aktuellen ökologischen Bewegungen, ein elementares Motiv verschiedenster gesellschaftskritischer Ansätze. Im Autonome Tutorium wollen wir diesem nachromantischen Moment der Kritik zunächst in den Schriften der frühen „Frankfurter Schule“ nachgehen. Auf die Frage bezogen, ob eine Rückkehr zu einem vor-zerrissenen Zustand sinnvoll wäre, soll daraufhin aber vor allem Leo Löwenthals legendäre Studie über den (1920 nobelpreisbehangenen) Schriftsteller Knut Hamsun im Mittelpunkt stehen. An Hamsuns Romanen, die ganz ähnlich wie Roches Text, immerzu das „Großstadtdasein“ verdammen, stellt Löwenthal brillant heraus, warum eine einfache Umkehr unseres Naturverhältnisses – von Beherrschung zu Verehrung – politisch mindestens ambivalent, wenn nicht gar präfaschistisch ist. Fast ohne Umwege münde Hamsuns „Zurück zur Natur“, so Löwenthals These, in einer autoritären Ideologie von Blut und Boden.
Wer Lust hat vor diesem Hintergrund einen kritischen Blick auf das heutige Naturrevival zu werfen – vom Eso-Barfüßler, übers Baum- und Bienenbuch, bis zum Chico-Gedenken –, ist herzlich eingeladen vorbeizuschauen!
Montags 16:15 – 17:45
Erstes Treffen: 29. April
Kontakt: Tobias (
)
Ort: S1|15/238
Legalize it? Gesellschaft ohne Strafrecht?
Dass unerwünschtes Verhalten durch den Staat bestraft wird, dass sogenannte „Gesetzesbrecher“ durch diesen zur Rechenschaft gezogen werden und Geld- und Gefängnisstrafen verhängt werden, wird meist als unumstößliche und notwendige Tatsache erachtet. Doch auch das Strafrecht ist menschengemacht und historisch gewachsen. Seine Wirksamkeit und seine Funktionen sind nicht eindeutig und werden von verschiedenen theoretischen Ansätzen ausgehend kontrovers diskutiert. Bei der kritischen Auseinandersetzung mit diesem Thema entstehen beispielsweise folgende Fragen:
• Was sind die zugeschriebenen und die tatsächlichen Funktionen des Strafrechts?
• Hat es eine instrumentelle oder eine rein symbolische Funktion?
• Ist das Ziel des Strafrechts die Vermeidung von Straftaten oder doch eher die Festschreibung der herrschenden Moral?
• Welche Alternativen zum Strafrecht sind vorstellbar und welche gibt es schon?
• Ist eine moderne Gesellschaft ohne Strafrecht denkbar?
Diese und weitere Fragen möchte ich zusammen mit Euch diskutieren. Dazu werden wir uns mit den Ansätzen der traditionellen und kritischen Kriminologie beschäftigen, die unterschiedlichen Funktionen des Strafrechts analysieren und seine Entstehung reflektieren. Anhand von konkreten gesetzlichen Verboten werden wir die Notwendigkeit und Funktion des Strafrechts untersuchen. Darüber hinaus schauen wir uns gemeinsam alternative Möglichkeiten der Konfliktlösung an und diskutieren, ob und unter welchen Umständen eine Abschaffung des Strafrechts möglich wäre. Es sind keine Vorkenntnisse notwendig, da wir die theoretischen Grundlagen gemeinsam erarbeiten. Eure Interessen werden bei der Auswahl der Texte und der Gestaltung des Tutoriums berücksichtigt.
Montags 18:05 – 19:35
Aktualisiert: Erstes Treffen: 6. Mai ⚠️
Kontakt: Madeline (
)
Ort: S1|03/110
Israel – Grundzüge und Entstehung des jüdischen Staates
71 Jahre nach der Gründung des israelischen Staates verkleidet sich das – den Antisemitismus charakterlich auszeichnende – „Gerücht über die Juden“ (Theodor W. Adorno) meist im „Gerücht über den Staat Israel“. Wird über Israel gesprochen, ist Halbwissen an der Tagesordnung. Was Zionismus eigentlich ist, ist keinem bekannt. Oft ist man sich jedoch einig, dass er etwas „kolonialistisches“ sei und daher die Grundlage für Herrschaft und Unterdrückung der Palästinenser. Seine historischen Wurzeln interessieren nicht, ebenso wie der lange Weg zur Staatsgründung in einer geschichtsvergessenen Haltung ausgeblendet wird. Man ist sich sicher, dass Israels Selbstdefinition als jüdischer Staat Rassismus und Apartheid hervorgerufen habe, weshalb man zum Boykott Israels aufruft. Im Versuch den jüdischen Staat zu delegitimieren, kann man sich auf eine Vielzahl wissenschaftlicher Texte und gar UN-Berichte stützen, die dem eigenen Vorhaben dienlich sind, über Umwege den heute lebenden Juden jene Gerüchte vorzuwerfen, welche man früher noch offen aussprechen konnte.
Das autonome Tutorium soll den Teilnehmer*innen ermöglichen, sich mit den Grundzügen des Zionismus, der Entstehung Israels, Israels Selbstdefinition als jüdischer Staat und der Haltung der UN zu Israel auseinanderzusetzen. Hierzu sollen verschiedene, mitunter von israelischen Autoren veröffentlichte deutsch- und englischsprachige Texte gelesen und diskutiert werden. Ziel des Tutoriums soll es vor allem sein, einen Einblick in einschlägige wissenschaftliche Debatten zu erlangen und wissenschaftliche sowie öffentliche Meinungen kritisch zu hinterfragen.
Montags 18:05 – 19:35
Erstes Treffen: 29. April
Kontakt: Tim (
)
Ort: S1|03/102
Warum Lachen? – Über Humor, Satire und Spaßkritik
Dass Lachen etwas Befreiendes haben kann, lässt sich leicht an einem selbst studieren: Wenn man so richtig zum Lachen kommt und man sozusagen aus dem ‚tiefsten Innersten‘ lacht, dann wird einem gleichsam schwindelig vor Freude, die Welt mit ihren vielen Verpflichtungen und Zumutungen erscheint leichter, angenehmer, und man fühlt sich einfach wohl, seelisch wie körperlich. Es ist fast schon so, als würde man für eine kurze Zeit vergessen, zu sein – darum ist der Gedanke, das Lachen als eine Art von Orgasmus, einem Zustand des Rausches, zu bezeichnen gar nicht so abwegig (Demokrit bezeichnete das Lachen sogar als großen Orgasmus im Unterschied zu dem kleinen – biologischen – Orgasmus, weil ersteres eine rein menschliche Angelegenheit, letzteres eine animalische Angelegenheit sei).
Interessant am Lachen ist, dass man beim Lachen – so sehr man dabei auch ins ‚Schweben‘ gerät – immer bodenständig, d.h. diesseits gewandt bleibt. Denn das Lachen und die damit verbundene Heiterkeit steht zumeist im Zeichen des Lebens im Hier und Jetzt. Vielleicht ist das der Grund, weshalb in Religionen, in denen zumeist der Sinn des Lebens im Jenseits gesucht wird, so selten gelacht wird. Die Bibel jedenfalls kennt keinen lachenden Gott und Jesus hängt am Kreuz, da gibt es nicht viel zu lachen – allenfalls ein höhnisches Auslachen von Seiten derer, die davon nicht viel halten.
Im Tutorium wollen wir uns näher mit dem vielseitigen Phänomen des Lachens beschäftigen. Von Interesse wird hierbei der Humor – verstanden als eine bestimmte Lebenshaltung – wie auch die Kritik etwa in Form der Satire sein. Es gibt aber noch sehr viel mehr Gesichtspunkte, wie man das Phänomen des Lachens untersuchen kann, wichtig ist, dass man aus ihm nicht wiederum eine allzu seriöse Angelegenheit macht, sodass einem am Ende nichts mehr zum Lachen bleibt.
Dienstags 16:15 – 17:45
Aktualisiert: Erstes Treffen: 7. Mai ⚠️
Kontakt: Anh (
)
Ort: S1|03/102
Die ewigen Antiwestler – Zur Kritik am Eurasismus, Antiamerikanismus und anderer Scheußlichkeiten
Gegenwärtig macht sich im rechten und linken autoritären politischen Diskurs in ganz Europa eine "pro-russische" Haltung bemerkbar. Auf Demonstrationen werden russische Fahnen geschwenkt und in Wladimir Putin wird ein rettender Gegenpol zu Merkel gesehen, der die Schuld für den angeblichen Verfall Europas durch die „Flüchtlingskrise“ gegeben wird. Die Ideologie zu diesen autoritären Affekten, welche als Philoslawismus oder „Russland-Liebe“ fehlgedeutet werden könnten, möchten wir uns im Tutorium genauer anschauen: Den Eurasismus. Unter Eurasismus oder Eurasianismus versteht man eine antiwestliche, antiindividualistische und antiemanzipatorische Theorie aus den 1920er Jahren, die heute unter Alexander Dugin eine Renaissance erfährt. Gemeinsam stellen wir uns (mit Hilfe von Texten der eurausasitischen Autoren sowie kritischer sozialwissenschaftlicher Deutungen) die Frage, wie und warum hier gegen Freiheit, Gleichheit und individuelles Glücksversprechen und für einen europäisch-asiatischen Machtblock unter Führung Russlands argumentiert wird. Für das Tutorium werden keine Vorkenntnisse vorausgesetzt.
Dienstags 16:15 – 17:45
Erstes Treffen: 30. April
Kontakt: Johannes (
)
Ort: S1|03/110
Das politische Wissen von Expert*innen – Zwischen Technokratie und Ignoranz
Welche Rolle sollten Expert*innen aller Art in der Politik spielen? Arbeitsteilung und eine damit verbundene Distribution der Expertise sind die Grundlagen unserer ausdifferenzierten Gesellschaft. Ohne Profis und Expert*innen wären die meisten unserer Lebensformen unmöglich – ohne Expertise keine Glühbirnen, kein Internet, keine Autos, kein moderner Rechtsstaat. Wenn etwa Christian Lindner (FDP) in seinem geringschätzigen Kommentar zu den „Fridays for Future“-Schulstreiks vom 10. März 2019 ein komplexes Thema wie Klimawandel und Klimaschutz als „eine Sache für Profis“ bezeichnet, möchte er damit wohl zum Ausdruck bringen: In unserer ausdifferenzierten Gesellschaft gibt es auch dafür Expert*innen; die können, sollen und werden sich darum kümmern, geht ihr doch wieder brav in die Schule.
Die Position, technisches und wissenschaftliches Wissen sei nicht nur eine notwendige, sondern auch hinreichende Basis für alle Entscheidungen und Handlungen einer Regierung bezeichnet man als technokratisch. Technokratie, gerade wenn man es als „Herrschaft der Sachverständigen“ übersetzt, klingt zunächst nach einer vernünftigen und zeitgemäßen Position. Bei genauerem Hinsehen lässt sich rasch erkennen, dass die „Herrschaft der Sachverständigen“ nicht ohne weiteres vereinbar ist mit der Idee einer „Herrschaft des Volkes“, der Demokratie, da hierbei eine Mehrzahl der Betroffenen vom politischen Prozess ausgeschlossen würden. Auch sind die „Sachverständigen“ niemals bloße Funktionen im Dienste der Allgemeinheit, sondern immer auch Träger von Partikularinteressen und vertreten ganz bestimmte Perspektiven auf den politischen Prozess. Seit dem Beginn des 20. Jahrhundert sehen viele Theoretiker*innen die Demokratie oder vielmehr die Politik im Allgemeinen von einer technokratischen Tendenz bedroht, die die Stimme der Einzelnen zugunsten oft fragwürdiger Expert*innenmeinungen zu ersticken droht.
Das problematische Verhältnis von Expert*innenwissen und Politik lässt sich anhand von zwei Polen schematisieren: Die Technokratie, die Herrschaft der Expert*innen, kommt der Abschaffung des demokratischen Prozesses gefährlich nahe; das Ignorieren von Expert*innenwissen (wofür exemplarisch der US-Präsident Trump und die Brexit-Befürworter stehen mögen) führt mit großer Wahrscheinlichkeit zu fatalen politischen Entscheidungen. Im Tutorium widmen wir uns der Frage, was jene Expert*innen eigentlich ausmacht und diskutieren anhand von Texten u. A. von Max Horkheimer, Hannah Arendt, Jürgen Habermas und Bruno Latour welche Rolle Expert*innen in der Politik spielen könnten und sollten.
Dienstags 18:05 – 19:35
Erstes Treffen: 30. April
Kontakt: Joël (
)
Ort: S1|03/10
Entpolitisierte Gesellschaft und politische Subjektivität
Allzu häufig wird den kontemporären Gesellschaften ein Mangel an Politik attestiert: Die Jugend sei politik-verdrossen, der Staat sei eine technokratische Elitenherrschaft. Demokratien werden ob ihrer mangelhaften Partizipationsmöglichkeiten als defizitär ausgewiesen, politische Willensbildung würde nicht stattfinden, gar korrumpiert oder verhindert werden. Gleichzeitig bilden sich beständig soziale Bewegungen: von Occupy bis zu den Gelbwesten (Gilets Jaunes). Doch der politische Charakter dieser Bewegungen scheint zumindest diskutabel. Sind sie tatsächlich in der Lage, politische Subjekte hervorzubringen? Und was heißt es überhaupt, ein politisches Subjekt zu sein? Die Entpolitisierung der Gesellschaft und die Entstehung politischer Subjekte sind jedenfalls zwei entgegengesetzte Bewegungen. Und die Diskussion um dieses Spannungsverhältnis ist so alt wie die moderne Demokratie selbst. Im autonomen Tutorium wollen wir der Frage nachgehen, welche Entpolitisierungsbewegungen existieren und wo die Herausbildung politischer Subjekte ihren systematischen Platz hat. Karl Marx beschrieb bereits 1844 die Entpolitisierung der Gesellschaft als ein strukturelles Element des modernen Rechtsstaats. Dieses Argument gilt es nachzuvollziehen, um im Anschluss daran verschiedene Umgangsweisen mit diesem Grundproblem im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu beleuchten. Dabei stehen sich Verteidiger und Kritiker des Liberalismus gegenüber: Autoren wie Ernst-Wolfgang Böckenförde, Arnold Gehlen, Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas und Christoph Menke können als Grundlage dienen, um sich einen umfangreichen Überblick zu verschaffen und tiefgehende Debatten nachzuvollziehen.
Alle Interessierten sind herzlich dazu eingeladen, an der Diskussion teilzunehmen und sich gemeinsam diesem Thema anzunähern! Fundierte Vorkenntnisse werden nicht vorausgesetzt!
Mittwochs 14:25 – 15:55
Erstes Treffen: 08. Mai ⚠️
Kontakt: Frederik (
)
Ort: S1|02/244
Der bedrohte Mann? – Zur Entwicklung neuer Männlichkeitskulte im Internet
„Private (Recruit) Minassian Infantry 00010, wishing to speak to Sgt 4chan please. C23249161. The Incel Rebellion has already begun! We will overthrow all the Chads and Stacys! All hail the Supreme Gentleman Elliot Rodger!“ (Alek Minassian, Täter)
In den letzten Jahren hat sich zu den traditionellen Motiven rechtsextremer Gewalt ein expliziter, primär in Internetforen zelebrierter, frauenfeindlicher Hass gesellt, der in den Massenmorden von Isla Vista (2014) und Toronto (2018) zwei vorläufige Höhepunkte fand. Die Täter, Elliot Rodger und Alek Minassian, identifizierten sich in den Videos und Texten, die sie vor ihren Morden publik machten, direkt mit der „Incel“-Bewegung („involuntary celibacy“), die in ihren Zentren auf den Internetplattformen 4chan und Reddit regelmäßig Vergewaltigungsapologien und krudeste Unterwerfungsfantasien zelebriert. Im Zentrum der „Incel“-Ideologie steht die sozialdarwinistische These, dass Frauen und Männer sich jeweils in eine klar hierarchisch geordnete Hackordnung einordnen lassen, in der die als „Alphas“ oder „Chads“ bezeichneten, gut aussehenden, sozial gewandten Männer den sexuellen Zugang zu attraktiven Frauen, oder: „Stacys“, die aufgrund ihrer biologischen Prädisposition gar nicht anders können, als sich um diese „Chads“ zu scharen, monopolisieren.
Gemeinsam wollen wir zunächst anhand diverser Forenbeiträge, Videos, Postings u. Ä. analysieren, welche Motive und Ursachen diesen extremen Einstellungen zugrunde liegen. In der zweiten Phase des Tutoriums werden wir versuchen, unsere Analysen mithilfe aktueller Texte und Fachliteratur theoretisch zu untermauern. Es sind Studierende aller Fachrichtungen und Wissensstände willkommen – es ist nicht erforderlich, sich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben. Ich freue mich auf angeregte Diskussionen und eure Teilnahme!
Mittwochs 16:15 – 17:45
Erstes Treffen: 08. Mai ⚠️
Kontakt: Johanna (
)
Ort: S1|02/244
„Fully-automated luxury queer space communism“ – Zum Selbstverständnis neuer linker Bewegungen im Netz
Zeitgleich zur Erstarkung der „Alt-right“-Bewegung, die in der sich immer weiter zersplitternden Netzkultur der späten 2000er ihren (Neu-)Anfang genommen und auch weiterhin in Blogs und Foren ihren vitalen Kern hat, ist eine ebenso sehr auf das Internet als Ausdrucks- und Organisationsmedium zentrierte Gegenbewegung entstanden, die sich klar links verortet und zur Aufgabe gemacht hat, neurechte Plattformen und deren Argumentation zu kritisieren. Insbesondere auf YouTube hat sich Innerhalb der letzten Jahre eine Vielzahl von Kanälen etabliert, die an der Grenze von Unterhaltung und Unterweisung operieren und eine Form von linkspolitischem „Edutainment“ produzieren, das sich inzwischen als lukrative Nische im Mosaik des YouTube-Angebots herausgestellt hat. Auffallend ist, dass diese lose Verbindung sich als links und progressiv verstehender Stimmen im Gegensatz zu traditionelleren linken Organisationen und in Nähe zur von ihr bekämpften Alt-Right keine gemeinsame theoretische Grundlage für die von ihnen vorgebrachten Kritiken vorweisen kann. In diesem Tutorium wollen wir uns daher gemeinsam mit der Frage beschäftigen, inwiefern diese neue linke Online-Bewegung tatsächliche Chancen für Emanzipation und Aufklärung enthält oder ob der Unterhaltungsfaktor von vornherein das kritische Element zu stark abstumpft. Zu diesem Zweck werden wir gemeinsam einschlägige Videos und Texte schauen und lesen und erst im Nachhinein entscheiden, welche weiterführenden Themen und Fragestellungen uns interessieren. Dementsprechend sind Studierende aller Fachrichtungen und Semester willkommen, ihr könnt frei mitgestalten, wie das Tutorium aussehen wird.
Mittwochs 18:05 – 19:35
Erstes Treffen: 08. Mai ⚠️
Kontakt: Sophia (
)
Ort: S1|03/110
Eine Politische Ökonomie der Geschlechter? Zum Verhältnis von Feminismus und Marxismus
Das Verhältnis von Feminismus und Marxismus war Gegenstand vieler kritischer wie affirmativer Auseinandersetzung. Um die Komplexität dieser Debatte inhaltlich zu fassen, soll sich mit einem der zentralen Texte auseinandergesetzt werden, welche diese Debatte entfacht haben. Die Rede ist von Gayle Rubins Vorschlag, über eine Betrachtung von rituellen Tauschverhältnissen eine Analyse einer politischen Ökonomie der Geschlechter zu entwerfen. Rubins Text ist dabei ebenso theoretisch anspruchsvoll wie konkret und anschaulich was die Auswahl der Analysegegenstände angeht. So finden sich viele spannende Anmerkungen zu den Untersuchungen von Lévi-Strauss, dessen Werk nach Rubin dazu geeignet ist um Verwandtschaftssysteme als Tauschsysteme zu begreifen. Auch die Psychoanalyse nach Lacan und Freud wird in Anspruch genommen, um die Reproduktion dieser Verwandtschaftssysteme zu fassen. Zudem entwickelt Rubin eine Leseart einiger Werke von Marx und Engels, die sich dem Dualismus von Affirmation und Kritik entzieht. Rubins Aufsatz bietet daher die Möglichkeit diese (kontroversen) Verhältnisse genauer zu betrachten. Das Tutorium will dieser Möglichkeit nachgehen.
Willkommen sind Studierende aller Fachrichtungen. Es sind keine Vorkenntnisse nötig, da wir uns die Inhalte gemeinsam erarbeiten. Terminänderungen sind auf Anfrage möglich.
Donnerstags 16:15 – 17:45
Erstes Treffen: 2. Mai
Kontakt: David (
)
Ort: S1|03/102
Ästhetische Dummheit
Dummheit ist ein Wundmal. Sie kann sich auf eine Leistung unter vielen oder auf alle, praktische und geistige, beziehen. Jede partielle Dummheit eines Menschen bezeichnet eine Stelle, wo das Spiel der Muskeln beim Erwachen gehemmt anstatt gefördert wurde.
(Horkheimer/Adorno)
Wir nehmen Kunst – das wird zumindest oft einfach vorausgesetzt – anders wahr, als etwa Gegenstände alltäglichen Gebrauchs; und wiederum anders reagieren wir auf das durch sie Ausgedrückte, als auf uns vertraute alltägliche Ereignisse. Wir wissen, dass die Darstellung eines Sachverhalts etwas anderes ist, als die plumpe Sache selbst. Der Rotton auf dem, einen Mord darstellenden, Bild, geht nie ganz in seiner darstellerischen Funktion auf, den Mord als sichtbares bildliches Geschehen schlicht als solchen registrierbar zu machen. Dort ist ein 'mehr'. Gleichzeitig, da wir – für gewöhnlich – nur den Mord und nicht auch seine Abbildung ablehnen, auch ein 'weniger', etwa an unmittelbarem praktischen Involviertsein.
Was der Künstler in unserem speziellen Beispiel der Malerei mithilfe von "bildnerischem Denken" (Paul Klee) an dem ästhetischen Objekt hervortreten lässt, setzt auch von den später Rezipierenden einen Gutteil davon voraus, um überhaupt ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen. Was von unserem Beispiel der Malerei gilt, gilt sicher auch für Kunst überhaupt.
Umso verwunderlicher, wenn Kunst dies immer weniger leistet und dennoch weiter Kunst sein möchte oder wenn die, die Kunst fordern kaum ästhetische Erfahrungen machen können. Wenn es also künstlerisches Denken und Erfahren gibt, ist dann deren Abwesenheit ästhetische Dummheit und Erfahrungsunfähigkeit? – und was heißt das dann genau?
Genau das würde ich gerne mit allen herausfinden, die Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen ästhetischer Dummheit haben. Die gemeinsam zu rezipierenden Texte und Kunstwerke sollen in den Treffen zusammen mit allen Teilnehmer*innen ausgewählt und dann diskutiert werden. Ebenso würde ich mit euch gerne einen Ausflug in den Beuys-Block des Darmstädter Landesmuseums planen. Ferner lassen sich Terminwünsche einbringen, solltet ihr an dem angegebenen Termin verhindert sein. Für weitere Informationen sowie bei Nachfragen könnt ihr euch gerne über die angegebene E-Mail-Adresse bei mir melden. Ich freue mich auf spannende Diskussionen!
Donnerstags 18:05 – 19:35
Erstes Treffen: 2. Mai
Kontakt: Jonas (
)
Ort: S1|03/102
Zur Sprach- und Erkenntniskrise der Wiener Moderne. Relativität, Quantenteilchen und die Unrettbarkeit des Ich
Wie führen Erkenntnisse der Physik um 1900 zu einer ausgeprägten Sinn- und Erkenntniskrise? Wieso hat der Wegfall alter Ordnungen sowohl Gefühle panischer Ohnmacht als auch Allmachtsphantasien zur Folge? Welche gesellschaftlichen Verwerfungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse führen zu einer umfassenden Sinnkrise?
Anhand von Roberts Musils Erstlingswerk Die Verwirrungen des Zöglings Törleß, eines zentralen Textes der Wiener Moderne (1890-1910), wollen wir uns auf Spurensuche begeben, wie Erkenntnisse und Diskussionen der Mathematik (Unendlichkeit), der Physik (Relativitäts- und Quantentheorie) und der Philosophie (kopernikanische Wende der Erkenntnistheorie, Sprachkrise) die weltschaffende Tätigkeit des Menschen immer stärker herausstellen und dadurch alte Gewissheiten und Ordnungen ins Wanken bringen. Musils Protagonist Törleß erfährt diese grundlegende Verunsicherung beim Eintritt ins Internat, einer neuen Lebenswelt, die er sprachlich nicht fassen kann. Mathematik-Unterricht, eine Kant-Lektüre und gewaltsame Übergriffe in seiner Klasse stürzen ihn in eine gewaltige Sinnkrise, die die Krise seiner Zeit versinnbildlicht.
Ausgehend von Musils Törleß wollen wir im Tutorium den darin angedeuteten und aufgegriffenen mathematisch-naturwissenschaftlichen wie philosophischen Grundlagen nachspüren und dafür einzelne Exkurse und Textblöcke einschieben, die uns die diskutierten Textstellen zugänglicher machen. Willkommen sind Studierende aller Fachrichtungen. Es sind keine Vorkenntnisse nötig, da wir uns die Inhalte in gemeinsamer Textarbeit erarbeiten. Terminänderungen sind auf Anfrage möglich. Ein Reader wird zu Beginn des Tutoriums bereitgestellt.
Donnerstags 18:05 – 19:35
Erstes Treffen: 2. Mai
Kontakt: Maike & Alex (
)
Ort: S1|03/65 (Konferenzraum des AStA)
Über die Aktualität des Faschismusbegriffs im Kontext seiner historischen Entstehungsgeschichte
Mehr als 70 Jahre nach den historisch einmaligen Verbrechen des deutschen Faschismus gibt man sich in Deutschland, sowohl in der Bevölkerung als auch in der Regierung geläutert. Es heißt, man habe aus der Geschichte gelernt und die Vergangenheit aufgearbeitet. Wirft man allerdings 2019 einen Blick in die Wirklichkeit, ergibt sich ein anderes Bild: Der rasante Aufstieg der AfD und anderer rechter Bewegungen, damit einhergehende Forderungen einer „Erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ und eine Diskursverschiebung, die mit Dobrindts Forderung nach einer „konservativen Revolution“ weit ins bürgerliche Lager hineinreicht, lassen daran zweifeln, ob es mit der vielbeschworenen historischen Verantwortung jemals so weit her war. Auch weltweit gewinnt die äußere Rechte wieder extrem an Einfluss, mit einigen Regierungen sogar bereits in rechter Hand. Um diese aktuellen Phänomene einordnen zu können, wollen wir daher die Geschichte des Faschismus nochmal unter die Lupe nehmen. Um auch Studierenden einen Einstieg in diese Thematik zu ermöglichen, die sich bisher kaum mit der Thematik auseinandergesetzt haben, wollen wir Grundlagentexte heranziehen, die sich in eingängiger Sprache beispielsweise mit Ideologie und Ökonomie auseinandersetzten. Mithilfe dieser und weiterführender Texte speziell zum Faschismus wollen wir anschließend historische und aktuelle Quellen analysieren und versuchen, Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede von neuen und alten rechten Bewegungen herauszuarbeiten. Ziel dieses Tutoriums ist es, sich einen wissenschaftlichen Begriff des Faschismus zu erschließen, um einerseits die momentan weitverbreitete unreflektierte und inflationäre Verwendung des Begriffs zu vermeiden, andererseits jedoch gegenwärtige Bewegungen und Herrschaftsformen kritisch untersuchen zu können.
Freitags 16:15 – 17:45
Erstes Treffen: 10. Mai ⚠️
Kontakt: Leo (
)
Ort: S1|03/110