Y. I. 13. April 2022 - 18:20
Liebe Kommiliton:innen,
auch für dieses Semester haben sich einige eurer Mitstudent:innen wieder die Mühe gemacht, sich in verschiedene Fragestellungen und Themenkomplexe einzuarbeiten und diese nun regelmäßig als Autonomes Tutorium anzubieten. Für euch also die sehnlichst vermisste Gelegenheit – endlich den Anschluss an heiß diskutierte Debatten zu finden, endlich ein tieferes Verständnis von Wissenschaft und Gesellschaft zu erarbeiten, endlich die von verschulten Modulplänen ausgesparten Ansätze zu ihrem Recht zu bringen und endlich Einsichten zu gewinnen, die ihren Zweck nicht in bestandenen Klausuren erschöpfen.
Autonome Tutorien widmen sich Themen, die im straffen Lehrplan der Form und dem Inhalt nach keinen Platz finden. Sie bieten die Möglichkeit, eigenen wissenschaftlichen Interessen ungezwungen nachzugehen und sie in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu stellen. Das ist angesichts des stetigen Drucks im Studienalltag zwar leider häufig kaum möglich, der Erfahrung nach finden sich in den Tutorien aber dennoch viele Studierende ein, denen das Thema am Herzen liegt und die die Zeit und Muße mitbringen, sich der Sache aufmerksam zu widmen. Und gerade bei schwierigeren Themen werden Wissenshierarchien nicht gegeneinander ausgespielt, sondern alle Teilnehmer:innen mit einbezogen.
Wir hoffen auf reges Interesse und freuen uns auf eure Teilnahme!
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Solltet ihr allgemeine Fragen zum Projekt haben, schreibt uns gerne an , bei Fragen zu den einzelnen Tutorien, schreibt den jeweiligen Tutor:innen einfach direkt.
Ihr möchtet selbst ein Tutorium anbieten? Gegen Ende der Vorlesungszeit wird eine Bewerbungsfrist durch Aushänge, über Mailverteiler und auf den Webauftritten des AStA bekanntgegeben. Die eingereichten Konzepte werden dann anonymisiert und von einer vom AStA gestellten Auswahlkommission diskutiert und ausgewählt. Alle weiteren Informationen dazu findet ihr auf unserer Übersichtsseite zur Ausschreibung.
Die Tutorien:
- How To: Kritische Flucht- und Migrationsforschung – zwischen Autonomie der Migration und historisch-materialistischer Grenzregimeanalyse.
- Zurück zur Materie – Möglichkeiten objektiver Erkenntnis und Verantwortung in den Naturwissenschaften
- Queere Lyrik
- Atome, Naturgesetze und Gesellschaftskritik: Die Geschichte des Materialismus
- Neuere Ansätze aus der Tierethik
- Der Historikerstreit
- Cornelius Castoriadis und die Kritik der Politik
- Wolfgang Pohrt: Sagen, was falsch ist
- Planwirtschaft und Computersozialismus
- Geschichtswerkstatt und kritische Gesellschaftstheorie
- Sturm und Barbarei. Zum Begriff des historischen Fortschritts bei Adorno und Benjamin
- Das Elend der Welt: Erklären zwischen Zuhören und Objektivieren
How To: Kritische Flucht- und Migrationsforschung – zwischen Autonomie der Migration und historisch-materialistischer Grenzregimeanalyse.
Neben den sozialen und ökologischen Krisen unserer Zeit ist eine der drängendsten Krisen die der Migration. Gerade die Verschränkungen von Rassismus, Nationalismus, Kapitalismus, Patriarchat und ökologischer Krise spielen hierbei eine große Rolle. Über 20.000 Menschen sind seit 2014 im Mittelmeer ertrunken. Die Externalisierung und Militarisierung von Grenzkontrollen nimmt zu und neue Mauern werden auf dem Balkan und an anderen EU-Außengrenzen hochgezogen. Die Sonderrechtsräume, die Lager (sogenannte Hotspots) auf europäischem Boden langfristig möglich machen, führen darüber hinaus zu einer Form der Exterritorialisierung. Im Winter spitzte sich die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze zu und nun zeichnen die jüngsten Ereignisse ein ganz anderes Bild: In kürzester Zeit kann die Aufnahme von über einer Million Flüchtenden organisiert werden. Diese Ambivalenz und starke Selektivität von Grenzen, Staat und Nation soll Hauptdiskussionspunkt des Autonomen Tutoriums sein.
Eine historische Perspektive zeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen den Grenzen im globalen Norden und der Zerstörung von Gemeinschaften im globalen Süden gibt. Sie zeigt auch, dass das gegenwärtige Grenzregime Teil eines größeren und älteren Projekts der kolonialen Akkumulation durch Vertreibung und Ausweisung ist, das Reichtum, Arbeitskraft und Zeit stiehlt. Kritische Migrationsforschung versucht diese verschiedenen Perspektiven zusammenzudenken. Was ist kritisch an kritischer Migrationsforschung? Welche Methoden und Vorbedingungen der Wissensproduktion liegen dieser Forschung zugrunde? Wie kann man sich mit Migration und Flucht auseinandersetzen, ohne dabei Herrschaftsverhältnisse zu reproduzieren? Autor*innen, die wir gerne lesen möchten sind unter anderem Manuela Bojadžijev, Sabine Hess, Serhat Karakayali und Fabian Georgi.
Im Autonomen Tutorium ergründen wir akademische Grundlagen zur kritischen Migrations- und Fluchtforschung, reflektieren methodisch und epistemologisch verschiedene Ansätze und setzen uns mit widerspenstigen Praktiken sowie Möglichkeits- und Handlungsfeldern eines Gegenhegemonieprojekts auseinander.
Kontakt: Gianna (
) & Lukas (
)
Termin: Montags 14:25 – 16:05
Raum: S1|03/10
Zurück zur Materie – Möglichkeiten objektiver Erkenntnis und Verantwortung in den Naturwissenschaften
Was ist, wenn der Mensch nicht das Maß aller Dinge ist? Oder genauer gefragt, nicht (allein) das Maß bestimmt, mithilfe dessen wir uns objektive Erkenntnis erhoffen?
Seit Einstein wissen wir, dass das jeweilige Maß für Raum und Zeit von den Beobachtenden abhängt. Aber noch viel tiefgreifender wirft die Quantenmechanik die Frage nach der Rolle der Beobachtenden auf. Denn die Beobachtung selbst hat einen Einfluss auf die Ergebnisse von Messungen. Können wir aber eingedenk dessen überhaupt objektive Erkenntnis erlangen?
„Wir gewinnen keine Erkenntnis dadurch, dass wir außerhalb der Welt stehen; wir erkennen, weil wir zur Welt gehören.“ So schreibt Karen Barad in ihrem Buch „Agentieller Realismus“. Dort greift sie Niels Bohrs Überlegungen zur Abtrennbarkeit von Messapparat und Beobachtenden auf und entwickelt sie weiter. Die Menschen werden aus ihrer äußeren Beobachtungsposition geholt und als Teil der Messung und der Erkenntnisgewinnung zurückgebracht in die (materielle) Welt.
Mit diesem In-der-Welt-sein wird zugleich die Möglichkeit objektiver Erkenntnisse auch mit Fragen zur ethischen Verantwortung und dem Einfluss von Diversität der Forschenden verwoben. Daraus ergibt sich eine spannende Diskussion über die Art und Weise unserer Erkenntnis und die Konsequenzen daraus.
Für das Tutorium benötigst du keine Vorkenntnisse, nur Interesse an Erkenntnistheorie.
Kontakt: Luisa (
)
Termin: aktuell wird ein neuer Termin für alle Interessierten gesucht -- bei Interesse bitte eine Nachricht an die angegebene Mailadresse senden!
Raum: S1|03/10
Queere Lyrik
In diesem Tutorium möchten wir uns ein Semester lang intensiv mit queerer Lyrik beschäftigen. Queere Lyrik experimentiert mit Sprache und vertieft damit unsere Fähigkeit Gefühle, Erlebnisse und Ideen auszudrücken. Gute Lyrik kann sogar unser Handeln beeinflussen.
Das ‚Queer‘ in der Lyrik können wir unterschiedlich verstehen. Es kann verstanden werden als ein Überbegriff für Lesbisch, Schwul, Bi, Trans und Inter. Queere Lyrik in diesem Verständnis versucht die jeweiligen Erfahrungen, Leidenschaften und Probleme auf vielfältige Art darzustellen und kann uns somit Erlebnisse nachempfinden lassen. Doch Queer kann auch als politische Kategorie verstanden werden, als etwas, dass gegen die bestehenden Normen ankämpft, etwas das quer zum Status quo des gesellschaftlichen Miteinanders steht. Etwas das wie ein Stachel die Funktionsweise unserer Gesellschaft stört und hinterfragt.
Wir möchten uns daher lesend die Frage stellen, was queere Lyrik ist und sein kann; die Vielfalt queerer Lyrik entdecken und beschreiben. Wir möchten Gründe entdecken, wieso wir uns mit queerer Lyrik beschäftigen sollten und was sie bewirken kann.
Dazu werden wir gemeinsam mit literaturwissenschaftlicher Methodik queere Lyrik lesen und besprechen sowie beschreiben und deuten. Wir werden hauptsächlich deutschsprachige Lyrik behandeln allerdings hier und dort auch englische Texte heranziehen.
Kontakt: Johanna (
)
Termin: Mittwochs 13:30 – 14:15
Raum: S1|03/102
Atome, Naturgesetze und Gesellschaftskritik: Die Geschichte des Materialismus
Wenn von „Materialismus“ die Rede ist, ist es nicht leicht, auf den ersten Blick zu erkennen, wovon die Rede ist. Der Naturwissenschaftler spricht mit dem Begriff die ontologischen Vorannahmen seiner praktischen Tätigkeit aus, der Kulturpessimist deutet auf den Verfall ‚höherer‘ Wertorientierungen, der Kommunist auf einen Stil der Kritik, der darauf zielt, ideologische Verklärungen zu beseitigen. In dieser Mehrdeutigkeit kommt die komplexe Geschichte materialistischen Denkens zum Ausdruck, die vom antiken Atomismus über die neuzeitliche Geometrisierung der Welt bei Kepler und Galilei bis zu Marx reicht, der das Historische in den Materialismus selbst hineinholt und damit die Grenze zwischen Natur- und Sozialphilosophie aufbricht. Wir wollen in diesem Tutorium diese verschiedenen Denktraditionen nachverfolgen und darüber nachdenken, wie sie sich jeweils zum status quo ihrer Gegenwart verhalten haben, denn: materialistisch denken heißt, damals wie heute, sich kritisch mit den Denkgewohnheiten seiner Zeit auseinanderzusetzen.
Das Tutorium ist offen und geeignet für Interessierte aller Fachbereiche, da wir uns die Grundlagen für die Diskussion in gemeinsamer Lektüre erarbeiten werden. Insbesondere Studierende aus naturwissenschaftlich-technischen Fächern sind dazu eingeladen, teilzunehmen und ihre Expertise einzubringen. Ich freue mich auf eure Teilnahme und hoffe auf eine spannende Diskussion!
Kontakt: Sophia (
)
Termin: Mittwochs 16:15 – 17:55
Raum: S1|03/11
Neuere Ansätze aus der Tierethik
Unser Umgang mit nichtmenschlichen Tieren hat eine Relevanz für unsere Umwelt, da sie das Klima beeinflusst und unerwünschte Nebenfolgen wie Zoonosen hervorbringt. Die Tierethik befasst sich mit der Frage, ob Tiere auch moralisch an sich zu berücksichtigen sind und wenn ja, welcher Umgang moralisch erlaubt ist. Tierethik ist gesellschaftlich relevant, denn, wenn sich herausstellt, dass Tiere moralische Objekte sind, ist z. B. Massentierhaltung nicht mehr zu rechtfertigen. Und auch die These, dass nichtmenschliche Tiere keine moralischen Objekte sind, muss innerhalb der Tierethik begründet werden.
In der Uni werden meistens die klassischen Tierethik-Theorien besprochen, oft fehlt die Zeit bis zu den aktuellsten Texten vorzudringen. In diesem Tutorium wollen wir uns daher mit aktuellen Texten aus der Tierethik auseinandersetzen, die feministische und kritische Aspekte beinhalten und auch zum Teil aus dem asiatischen und afrikanischen Raum sind. Diese unterschiedlichen Perspektiven sollen helfen ein neues Verständnis für unseren Umgang mit nicht-menschlichen Tieren zu entwickeln. Gerne können auch Textvorschläge aus der Gruppe mit in die Literaturliste aufgenommen werden.
Es ist hilfreich, wenn bereits ein einführendes Seminar zur Tierethik besucht wurde bzw. die grundlegenden Ansätze des Utilitarismus und der Tierrechtstheorie bekannt sind, aber wir können die Grundlagen auch in einem kurzen Überblick zu Beginn des Tutoriums nachholen. Es ist interessant mit diesem Wissen im Hintergrund die neueren Ansätze der Tierethik zu betrachten, da diese teilweise ja aus den ursprünglichen Theorien hervorgehen, und wir dann auch gemeinsam die Unterschiede herausarbeiten können, um zu schauen, welche Theorien uns am meisten überzeugen.
Kontakt: Judith (
)
Termin: Mittwochs 16:15 – 17:55
Raum: S1|02/330
Der Historikerstreit
Die „letzte öffentlich-intellektuelle Großkontroverse der alten Bundesrepublik“, wie Eberhard Rathgeb den Historikerstreit bezeichnet, drehte sich um die Frage der Singularität der Shoah, im Weiteren jedoch auch um die Interpretation des Dritten Reiches allgemein, theoretische Betrachtungen des Faschismus sowie die Erinnerungskultur in Deutschland. Ausgelöst durch einen Artikel Ernst Noltes in der FAZ im Juni 1986 und Jürgen Habermas‘ Antwort darauf in der Zeit, spaltete sich die anschließende Debatte in zwei Lager: Zum einen diejenigen, „die den sozialliberalen Zeitgeist des vorangehenden Jahrzehnts in geschichtspolitischer Absicht einer konservativen Revision zu unterziehen versuchten“ (Große Kracht), zum anderen diejenigen, die die Einzigartigkeit des Holocausts als zentralen Bezugspunkt der deutschen kollektiven Identität betonten.
Die Aktualität des Historikerstreits ist nicht nur durch dessen großen Einfluss auf nachfolgende Debatten und Forschung zu erkennen. Wenn bei Impfgegner und Neuen Rechten Auschwitz-, Faschismus- und Diktaturvergleiche (wieder) en vogue sind, ist und bleibt das Beschäftigen mit der Frage nach der Singularität der Shoah, gerade im deutschen Kontext, essenziell, deren deutlichste und inhaltliche Grundlage im Historikerstreit zu finden ist. Nach den – mehr oder weniger expliziten – Antisemitismus-Vorwürfen an den postkolonialen Theoretiker Achille Mbembe 2020 entbrannte eine als „neuer“ oder „Historikerstreit 2.0“ bezeichnete Debatte, in der erneut nicht nur die Frage der Singularität und der historischen Vergleichbarkeit diskutiert wurde. Des Weiteren beschäftigt sich die Debatte damit, inwiefern von einer Subsumierung von Antisemitismus unter das postkoloniale Rassismusverständnis gesprochen werden kann, und ob das Festhalten an der Singularitätsthese nicht gar als „deutscher Katechismus“ (Dirk Moses) zu verstehen ist.
In diesem autonomen Tutorium soll der Historikerstreit zusammen aufgearbeitet und dessen Thesen und Perspektiven theoretisch eingebettet werden. Dazu werden wir die zentralen Texte des Streits – im zeitgeschichtlichen Kontext und übertragen auf die heutigen Diskurse – lesen und diskutieren. Zum Abschluss des Tutoriums werden wir ebenfalls in zwei Sitzungen neu veröffentlichte Texte zum neuen Historikerstreit, dessen Ausprägung und (theoretische) Grundlage, behandeln.
Kontakt: Nico (
)
Termin: Mittwochs 18:05 – 19:35
Raum: S1|03/10
Cornelius Castoriadis und die Kritik der Politik
»Aber das ändert nichts an der Logik des Problems: Die Arbeiter erscheinen immer nur
als schwer einschätzbare Variable in der Gleichung, die die Führer zu lösen haben.«
– Cornelius Castoriadis
Der Marxismus war eine sich selbst als objektive Philosophie der Arbeit darstellende Theorie. Diese Arbeit sollte in ihr und durch sie ihren Entfremdungscharakter abstreifen und zu ihrem wahren Wesen finden. Weil er eben Philosophie – oder wahlweise Wissenschaft – sein sollte, stellte sich für Marxist:innen seit jeher das Problem, wie nun diese Philosophie zu den Arbeiter:innen gelangen sollte. Lenin bemerkte dazu an berühmter Stelle, dass das Proletariat bloß ein gewerkschaftliches Bewusstsein, das heißt ein der bürgerlichen Gesellschaft immanentes Bewusstsein entwickeln könne. So stufte der gesamte Marxismus diejenigen für die er doch im Sinne deren Emanzipation sprechen wollte zum Material herab, das durch die Intellektuellen geformt werden sollte. Das Proletariat war der Dornbusch, durch den der Gott des Zentraldommittees auf die Erde kommen sollte.
Cornelius Castoriadis, der bereits als junger Mann sowohl gegen den Nazifaschismus als auch gegen eine stalinistische Diktatur in Griechenland gekämpft hatte, sagte sich schnell von allen Organisationen los, die nicht die Selbstemanzipation der Arbeiter:innen in den Mittelpunkt stellten, sondern – so sein späteres Urteil für den Marxismus-Leninismus – deren Feinde waren. Zumal Castoriadis wenig in der intellektuellen Landschaft Deutschlands rezipiert wird, ist die Rezeption, die es gibt, vor allem innerhalb der Diskussionen um sogenannte radikale Demokratietheorien zu finden. Deren Begründer:innen Ernesto Laclau und Chantal Mouffe hatten zwar den Marxismus verworfen, allerdings dessen politische Konzeption unreflektiert übernommen.
Ihr Werk erscheint als eine Theorie, die die Massen zu adaptieren hätten, damit sie wahrhaftig an der Demokratie partizipieren könnten.
Castoriadis′ Marxismuskritik – vor allem seine Kritik der politischen Form – ist von anderem Kaliber. Im Verlassen des traditionellen Marxismus entwickelt er eine Möglichkeit Politik als selbstreflexive Weise von autonomer Emanzipation zu denken.
Wir wollen im Tutorium ein Verständnis dieser Form der Politik, die eben zugleich eine Kritik an den althergebrachten Formen der Politik darstellt, entwickeln und gemeinsam nachvollziehen, was dies für Risiken birgt, aber auch welche Stärken darin wohnen.
Kontakt: Philipp (
)
Termin: Mittwochs 18:05 – 19:35
Raum: S1I03/102
Wolfgang Pohrt: Sagen, was falsch ist
»Vor allem war ihm jede Mehrheitsmeinung suspekt.«
– Klaus Bittermann über Wolfgang Pohrt
Mit dem Namen Wolfgang Pohrts verbindet sich unweigerlich die Erinnerung an einen der rücksichtslosesten Polemiker des vergangenen halben Jahrhunderts. Die Liste derer, mit denen er sich über die Zeit anlegte, ist fast endlos: Sie reicht von den Grünen, der Alternativ- und Friedensbewegung über den Wissenschafts- und Literaturbetrieb bis zu den wiedervereinigungstrunkenen Deutschen und deren Kritikern. Schärfe, Eleganz und Witz zeichneten Pohrts Interventionen aus.
Neben dem Genuss scharfzüngiger Angriffe auf Land und Leute wird es um das Verstehen von Pohrts handgreiflicher Kritik gehen. Denn von ihm lässt sich einiges lernen, das selbst schwer auf den Begriff zu bringen ist. Einige Leitfragen des Tutoriums können es vielleicht andeuten: Wonach wählte Pohrt eigentlich seine Gegner aus? Warum kommt er in einem Vortrag über Berliner Hausbesetzer in wenigen Sätzen von der fachgerechten Montage eines Waschbeckens zur Wiederkehr der Volksgemeinschaft? Was hat das damit zu tun, dass Pohrt sein Studium nur deshalb nicht abbrach, weil „Adorno“ so weit vorne im Lexikon steht? Und wie überhaupt arbeitet einer, der aus einer missglückten Formulierung eine verbrecherische Gesinnung herausliest?
Es werden ausgewählte Originaltexte von Wolfgang Pohrt diskutiert. Vorkenntnisse sind keine nötig; Interesse an der Geschichte der Bundesrepublik und ihrer Linken aber erwünscht.
Kontakt: Lucas (
)
Termin: Donnerstags 16:15 – 17:55 (aktualisiert)
Raum: Wird noch bekannt gegeben, bitte per Mail melden, um gleich Bescheid zu bekommen.
Planwirtschaft und Computersozialismus
Der Begriff der Planwirtschaft ist in den letzten Jahren gegen jegliche Intuition wieder in Mode. In einer Fülle an Veröffentlichungen werden die Geschichte der Idee und neue Modelle dargelegt. Ein Aufblühen der Überlegungen über eine kommende Wirtschaftsweise ist im Stadium der völligen Bedeutungslosigkeit der sozialistischen Bewegung in Deutschland zumindest kurios, aber die Offensichtlichkeit der gesellschaftlichen Widersprüche scheint trotzdem dazu zu verleiten sich eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und ohne Markt vorzustellen. In der Vergangenheit hatten diese in mehreren Momenten einen unmittelbaren Bezug zur Realität: wie sollte die Münchner Räterepublik funktionieren? Wie kann die Sowjetwirtschaft verändert werden, um keine autoritäre Bürokratie zu werden? Wie kann im Chile Allendes betriebliche Selbstverwaltung mit zentraler Planung verbunden werden? Aber auch die Idee des Cybersozialismus und aktuelle linkskommunistische Ideen versuchen den Stand der Produktivkräfte in ihre Pläne zu integrieren. Im Tutorium sollen im Rahmen einer geschichtlichen Reflexion die einflussreichsten Modelle der Planwirtschaft daraufhin befragt werden, ob sie geeignet waren den Zwang aufzuheben und den Widerspruch von Allgemeinem und Besonderem, gesellschaftlicher Synthese und Freiheit, zu lösen. In Erinnerung an diese sozialistischen Utopien können wir fragen: steckt in der Idee der Planwirtschaft heute noch kritische Phantasie oder drückt sich die Ohnmacht der Beteiligten in ihr aus?
Kontakt: Leon (
)
Termin: Donnerstags 16:15 – 17:55
Raum: S1|03/102
Geschichtswerkstatt und kritische Gesellschaftstheorie
Die Geschichte hat stattgefunden. Sie hat hier stattgefunden. Sie kommt von unten.
Gemeinsam möchten wir uns im Tutorium der Geschichtswerkstatt annähern und ein Thema aus z. B. der Geschichte der Zionistischen Bewegung und des Jüdischen Widerstands vor Ort (in Darmstadt, Frankfurt oder Südhessen) erforschen. Dabei betreten wir neue Pfade. Die Geschichtswerkstatt ist eine Methode Geschichte „von unten“ zu erforschen, die sich im Zuge der 68er-Revolte und der Neuen Sozialen Bewegung großer Beliebtheit erfreute. Sie zielte darauf ab die Sozial-, Alltags- und Erfahrungsgeschichte der einfachen Leute, der Ausgegrenzten und Minderheiten sichtbar zu machen. Wir möchten diesen Ansatz gemeinsam im Tutorium für unsere eigenen Forschungsinteressen fruchtbar machen, ihn aber gleichzeitig um eine gesellschaftstheoretische Dimension zu erweitern. Das bedeutet selbst kritisch und gesellschaftstheoretisch informiert zu kaum beachteten Facetten der jüngeren Geschichte zu forschen und andererseits die eigenen bisher vorgenommenen theoretischen Reflexionen mit konkretem historischen Material und dem Verständnis dafür zu unterfüttern. Um letztlich damit einen kleinen Beitrag zu Aufklärung und Kritik zu leisten, die unter den gegenwärtigen Verhältnissen von keinem Universitätsseminar geleistet wird.
Kontakt: Johannes (
)
Termin: Donnerstags 16:15 – 17:55
Raum: S|102/331
Sturm und Barbarei. Zum Begriff des historischen Fortschritts bei Adorno und Benjamin
»Millionen Juden sind ermordet worden, und das soll ein Zwischenspiel sein und nicht die Katastrophe selbst. […] [K]önnte man sich vorstellen, daß das, was in Europa geschah, keine Konsequenz hat, daß nicht die Quantität der Opfer in eine neue Qualität der gesamten Gesellschaft, die Barbarei, umschlägt?«
– Adorno, Minima Moralia, GS IV, S. 62
Unter dem historischen Eindruck des Nationalsozialismus formulierte Adorno 1944 diese radikale Absage an jeglichen naiven Fortschrittsglauben und brachte so eine der wichtigsten Thesen der frühen Frankfurter Schule auf den Punkt. Anders als für die Schule prägende Autor*innen wie Hegel und Marx und, wie Amy Allen gezeigt hat, auch anders als spätere Autor*innen der Schule glaubten vor allem Adorno und Benjamin nicht, dass der Gang der Geschichte zwangsläufig zum Besseren tendiere.
Interessanterweise verwarfen aber weder Adorno noch Benjamin das Konzept des Fortschritts völlig, sondern entwickelten jeweils eine komplexere und ambivalentere Form dessen. Mit diesen wollen wir uns im Rahmen des Autonomen Tutorium beschäftigen. Dafür wollen wir unter anderem für Benjamin Über den Begriff der Geschichte und Auszüge aus Das Passagen-Werk und für Adorno Auszüge aus Dialektik der Aufklärung sowie einige spätere Texte lesen. Dabei soll das Tutorium auch einen niedrigschwelligen Einstieg in das Denken der Frankfurter Schule anbieten, der es ermöglicht, uns gemeinsam deren anspruchsvollen Texten zu nähern.
Kontakt: Nikolai (
)
& Christian (
)
Termin: Donnerstags 18:05 – 19:35
Raum: S1|03/10
Das Elend der Welt: Erklären zwischen Zuhören und Objektivieren
Die von Pierre Bourdieu geleitete Studie Das Elend der Welt versucht über eine Reihe wörtlich abgedruckter Interviewausschnitte mit theoretischen Einführungen ein Panorama der französischen Gesellschaft Anfang der 90er Jahre aufzuziehen. Neben der emotionalen Wucht des abgedruckten, gesprochenen Wortes ist an der Studie vor allem das Zusammenspiel aus den Interviewpassagen und den theoretischen Einführungen interessant.
Dieses Zusammenspiel soll eine kritische Perspektive auf die Gesellschaft eröffnen, die den beiden Teilen für sich allein verschlossen bleiben muss. Die Diskrepanz – ja die Spannung – zwischen den beiden Elementen wirft dabei beispielhaft die Frage auf, welche Rolle den Selbst- und Weltwahrnehmungen der Akteure in den Sozialwissenschaften zukommen soll. Im Elend der Welt versuchen Bourdieu und sein Team mit der schroffen Gegenüberstellung theoretischer Distanzierung und wörtlichen Zeugnissen die Akteure „gleichzeitig in ihrer Einmaligkeit und ihrer Allgemeinheit“ zu erfassen.
Gelingt es der Studie auf diesem Weg die theoretische Objektivierung in ein produktives Verhältnis zu den Versuchen der Akteure zu setzen, sich und ihre Welt selbst zu erklären? Kann sie tatsächlich „erklären ohne aufzuspießen, ohne gleichsam Steckbriefe zu entwerfen?“ Indem wir uns in diesem autonomen Tutorium einen Überblick über die Studie verschaffen, wollen wir diesen Fragen nachgehen.
Kontakt: Moritz (
)
Termin: Freitags 16:15 – 17:55
Wichtig: aktuell findet das Tutorium online statt. Bei Interesse kann der Raum-Link mit einer Mail an den Tutor angefordert werden.