Philip Krämer Jun 19 2013 - 12:43pm
Wirtschaft zahlt Stipendium – Das Deutschlandstipendium
»Aufstieg durch Bildung« lautet das Motto des nun in die dritte (Jahres-)Runde gehenden Deutschlandstipendiums. Die Idee dazu war bereits Ende 2009 Teil des Koalitionsvertrags der derzeitigen Bundesregierung (man erinnere sich des hehren Titels »Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.« und der dort formulierten Einsicht: »Der Bildungsaufstieg darf an den finanziellen Hürden nicht scheitern.«). Eingeführt wurde das Deutschlandstipendium dann zum Sommersemester 2011. Im Gegensatz zu anderen Hochschulen war die Universität Heidelberg von Anfang an mit dabei.
104 Studenten bekamen Ende 2011 im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung in der Alten Aula das neue Stipendium überreicht. 32 mehr waren es 2012, verliehen wurde es diesmal in der Neuen Aula. Wie viele es in der diesjährigen Runde sein werden, ist noch ungewiss. Bis zu 435 Studenten könnten es sein, aber im Augenblick sieht es nicht danach aus, als würde die derzeitige Anzahl von 136 merklich überschritten. Bei etwa 29.000 Heidelberger Studenten ergibt das etwas weniger als ein halbes Prozent.
Die glücklichen Gewinner bekommen für ein Jahr (Verlängerung möglich) monatlich 300 € auf ihr Konto überwiesen – und das unabhängig davon, ob sie BAföG beziehen oder einem wohlhabenden Elternhaus entstammen. Es handelt sich um ein rein leistungsbezogenes Stipendium. Bei der Vergabe werden jedoch nicht bloß die Studien- oder Schulleistungen berücksichtigt (60%): Honoriert wird auch die außerakademische Leistung, es bspw. von einem Nicht-Akademiker-Haushalt an die Uni geschafft zu haben, neben dem Studium ein Kind alleine aufzuziehen (20%) oder sich ehrenamtlich zu engagieren (20%).
Finanziert wird das Ganze je zur Hälfte vom Bund und aus privater Hand. Letztere muss jede Uni für ihre Stipendiaten selber auftreiben. Erst wenn ein privater Financier sich bereiterklärt, monatlich 150 € zu zahlen, legt auch der Bund seine 150 € drauf. Diese 150 € würde er augenblicklich für bis zu 1,5% aller Studenten zahlen, bisher fehlt es aber deutschlandweit an privaten Geldgebern für die andere Hälfte (so spart der Bund praktischerweise gleich mit). Wie genau der derzeitige Bundesdurchschnitt von 0,4% »mittelfristig« auf das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erklärte Ziel von 8% angehoben werden soll, steht in den Sternen.
Bei den meisten privaten »Förderern« handelt es sich indes nicht um Einzelpersonen sondern in der Regel um regionale oder überregionale Wirtschaftsunternehmen (bzw. deren angegliederte Stiftungen) – in Heidelberg werden bspw. mind. 100 der 136 vergebenen Deutschlandstipendien von BASF (Chemie), SAP (Software), Agilent Technologies (Messtechnik), Bayer (Pharma), Clariant Produkte (Chemie), Boehringer Ingelheim Pharma (Pharma), Sparkasse Heidelberg, Santander Bank, Hans-Peter Wild (Wild-Gruppe, Geschmacksverstärker wie in Capri-Sonne & Co.) und der Karl-Schlecht-Stiftung (Vermögen aus Putzmeister Holding, Maschinenbau) finanziert.
Neben Hinweisen auf selbstlose Motiven wie »Förderung von Talenten«, »gesellschaftlichem Engagement« und einem »Mehrwert für die Universität« lockt das Heidelberger Dezernat für Beziehungspflege auf ihrer Fundraising-Seite Firmen mit Stichworten wie »Recruiting von High Potentials«, »Erweiterung Ihres Netzwerks«, »Imagegewinn« und nicht zuletzt »Steuervorteilen« an.
Um sicherzustellen, dass die Rekrutierung junger Talente als zukünftige Mitarbeiter auch funktioniert, können Deutschlandstipendien von den Unternehmen auch zweckgebunden vergeben werden. Das heißt, dass die privaten Geldgeber entscheiden können, aus welchem Studiengang oder Fachrichtung ihr künftiges akademisches Ziehkind stammen soll. 59,6% der Heidelberger Stipendiengeber entschieden sich in der laufenden Förderperiode für solch ein zweckgebundenes Stipendium. Aufgrund der wirtschaftlichen Schwerpunkte der fördernden Unternehmen (s.o.) kommt es hier zu einem recht ausgeprägten Ungleichgewicht zwischen den einzelnen Fachrichtungen und Wissenschaftsbereichen.
BASF möchte bspw. seine 30 Deutschlandstipendien nur an Chemiker, molekulare Biotechnologen, Pharmazeuten und Physiker vergeben wissen. Mit diesen pflegt der Konzern dann auch einen intensiven Austausch: verschickt weihnachtliche Präsentkörbe und lädt zu Werksrundgängen sowie Veranstaltungen mit Übernachtung im Hotel; darüber hinaus werden in einem betriebseigenen »Talent Pool« Praktika und Jobangebote in verschiedenen Abteilungen angeboten und vieles mehr. Offenbar hat man in Ludwigshafen erkannt, dass der Kampf um die besten Köpfe bereits an den Universitäten ausgetragen wird und dass man als Unternehmen gut daran tut, die Besten bereits während ihres Studiums an sich zu binden. Gemessen an den Vorteilen sind die Ausgaben für die 30 – überdies als Spende steuerlich absetzbaren – Stipendien also peanuts.
Entsprechend lässt sich der Personalchef der BASF Hans Carsten Hansen auf der Heidelberger Deutschlandstipendien-Seite wie folgt zitieren: »Mit der Ruprecht-Karls-Universität, die sich unter anderem durch ihre hervorragenden naturwissenschaftlichen Fakultäten auszeichnet, pflegen wir eine enge und für beide Seiten bereichernde Beziehung, die wir mit unserem Engagement weiter vertiefen. Ebenso wollen wir Talente, die wir gezielt fördern, auf BASF als attraktiven Arbeitgeber aufmerksam machen.«
In der Satzung der Uni Heidelberg zur Vergabe der Deutschlandstipendien ist in §5,4 vorgesehen, dass private Mittelgeber im Stipendienauswahlausschuss eine beratende Funktion ausüben können. Ob dies in der Vergangenheit bereits geschehen ist und BASF sich also selbst seine Favoriten aus den Bewerbungen heraussuchen durfte oder die Uni die Besten für das Unternehmen vorausgewählt hat, ist – wie so vieles in dieser Angelegenheit – nicht bekannt.
Ganz anders hält es dagegen der Pharmakonzern Bayer. Während BASF in Heidelberg, Mannheim und Karlsruhe jeweils 30 Deutschlandstipendien gezielt nach Studienfächern vergibt, sponsert Bayer insgesamt 100 lose über die Republik verteilte und nicht zweckgebunde Stipendien. Unter den Heidelberger Bayer-Stipendiaten finden sich daher auch Geisteswissenschaftler. Dem Unternehmen geht es anscheinend tatsächlich vornehmlich um die Förderung von Talenten bzw. den gesellschaftlichen Imagegewinn.
Mehr schlecht als recht behebt das Deutschlandstipendium eines der großen Mankos unseres Bildungssystems: die herrschende Bildungsungerechtigkeit. Lediglich etwa 2% aller deutschen Studenten erhalten ein Stipendium, vergeben werden diese meistens von parteinahen oder konfessionellen Stiftungen – oder der rein leistungsbezogenen Studienstiftung des deutschen Volkes. Der Aufbau eines neuen und erweiterten Stipendiensystems war daher ein kluger Gedanke der Bundesregierung, zumal in keinem anderen europäischen Industriestaat laut BMBF die sozio-ökonomische Herkunft so stark über den Bildungserfolg entscheidet wie in Deutschland.1 Ob es eine ebenso gute Idee war, bei der Privatwirtschaft anzuklopfen – und damit eine Abhängigkeit von deren Spendenbereitschaft sowie die Möglichkeit ihrer Einflussnahme zu schaffen – steht auf einem anderen Blatt. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
Wirtschaft zahlt Lehrstuhl – Die Stiftungsprofessur
Die Wirtschaft zur finanziellen Unterstützung der Universitäten heranzuziehen ist keinesfalls eine neue Idee, sondern wird (nach US-amerikanischen Vorbild) hierzulande schon seit einigen Jahrzehnten praktiziert – Tendenz steigend. Die ungenügende finanzielle Ausstattung der deutschen Hochschulen hat zu einer zunehmenden Bedeutung der »Drittmittel« geführt. Als Drittmittel werden alle nicht aus dem eigentlich zuständigen Länderetat finanzierten Gelder bezeichnet, so die projektbezogenen Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die Gelder aus der Exzellenzinitiative des Bundes sowie alle von der Privatwirtschaft bereitgestellten Mittel.
Drittmittel, besonders jene aus der Wirtschaft, stehen regelmäßig unter dem Verdacht, die grundgesetzlich in §5 verankerte Freiheit von Forschung und Lehre zu unterlaufen bzw. zu gefährden. Die Grenze zwischen universitärer Grundlagenforschung und wirtschaftlicher Auftragsforschung droht zu verschwimmen.
Besonders viziös droht die Verflechtung von Wirtschaft und Wissenschaft zu werden, wenn nicht bloß einzelne Forschungsprojekte, sondern die Forscher selbst von Unternehmen (oder deren Stiftungen) gesponsert werden. Laut des ›Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft‹ werden derzeit etwa 1.000 Lehrstühle privatwirtschaftlich finanziert – 41% dieser Stiftungsprofessuren werden durch Unternehmen »gefördert«, die meisten davon in Bayern und Baden-Württemberg.
Durchschnittlich 1,3 Millionen Euro lässt sich die Wirtschaft eine solche i.d.R. fünfjährige Stiftungsprofessur kosten. Die meisten Lehrstühle werden im Bereich der Wirtschafts- (33,7%) und Ingenieurswissenschaften (21,2%) eingerichtet, aber auch Medizin und Gesundheitswissenschaft ist mit 10,6% neben den 14,6% für Naturwissenschaften / Mathematik / Informatik nicht gerade unbeliebt. Alle großen Pharmaunternehmen, Chemiekonzerne, Versicherungen, Automobilhersteller, Banken, Verkehrsbetriebe und viele mehr haben an deutschen Universitäten Stiftungsprofessuren eingerichtet.
Laut Recherchen der Frankfurter Rundschau vom 2. November 2011 finanzieren allein die führenden deutsche Atomkonzerne EnBW, RWE, Vattenfall und Eon etwa 30 Stiftungsprofessuren.[2] Das von denselben gemeinschaftlich finanzierte Energiewirtschaftliche Institut (EWI) der Universität Köln erstellte 2010 das Gutachten für die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland für die Bundesregierung. Ob bei der Formulierung alles ohne Einflussnahme der Financiers oder Hintergedanken an die fütternde Hand geschah, bleibt offen . . .
Ohne Stiftungsprofessur und sogar honorarfrei stellte in den vergangenen Jahren aber auch Dr.-Ing. Hartmut Lauer, seines Zeichens langjähriger Leiter des Atomkraftwerks Biblis, über ein paar Semester hinweg seine Expertise in der Wahlpflichtvorlesung »Kernenergie« für die Maschinenbau-Studenten der TU Darmstadt zur Verfügung. Besucher der Vorlesung bemängeln allerdings eine unausgewogene Behandlung des Themas. Seit diesem Semester wird die Vorlesung nicht mehr angeboten – ob dies mit dem Widerstand des Darmstädter AStAs oder an der Pensionierung des Herrn Lauer im Juni 2012 zusammenhängt, bleibt offen . . .
2006/07 sorgte schließlich die Deutsche Bank für einen Skandal, als bekannt wurde, dass sie für die mehr als drei Millionen Euro, die sie bei der Einrichtung eines Lehrstuhls an der HU Berlin zusteuerte, auch einen direkten Einfluss auf die Forschung forderte – was natürlich nicht nur gegen den selbstauferlegten »Stiftungskodex« verstieß, sondern auch gegen den oben erwähnten Paragraphen unseres Grundgesetzes.
Erst jüngst eröffnete auch das zu einhundert Prozent von Google finanzierte »Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft« in Berlin seine Pforten. Ob sich dort jemand kritisch mit der Rolle des Geldgebers für Internet und Gesellschaft auseinandersetzt, bleibt offen …
Der psychologische blinde Fleck
Natürlich kann man nicht einfach unterstellen – und erst recht nicht pauschal –, dass Stiftungsprofessoren wissenschaftliche Ergebnisse willentlich verfälschen würden und bloße Marionetten ihrer Geldgeber darstellten, aber psychologisch entsteht in vielen Fällen sicherlich eine kognitive Einengung der Forscher, ein blinder Fleck, der zu selektiver Forschung führt. So werden eventuell wissenschaftlich interessante Fährten, die den Financier der Forschung am Ende vielleicht wirtschaftlich oder moralisch gefährden könnten, erst gar nicht eingeschlagen, was überhaupt nicht bewusst und in voller Absicht geschehen muss.
Wenn die wissenschaftlichen Interessen mit der Angst um die finanzielle Sicherheit kollidieren, entsteht das, was Psychologen eine ›kognitive Dissonanz‹ nennen – die Unvereinbarkeit zweier Kognitionen (Wünsche, Absichten, Einstellungen, Meinungen). Auflösen lässt sich diese entweder durch eine Änderung auf der Handlungsebene – z.B. einer Kündigung der Zusammenarbeit. Viel öfter kommt es jedoch bei den betroffenen Personen zu einer unbewussten Änderung auf der Einstellungsebene: Der die ›kognitive Dissonanz‹ hervorrufende Forschungsgegenstand erscheint plötzlich gar nicht mehr so interessant. Schließlich – und auch das gehört zur Freiheit der Forschung – muss man ja nicht immer jeder Fährte nachgehen. Offiziell angetastet wird die Freiheit von Forschung und Lehre natürlich durch die Finanzierung einer Professur aus der Privatwirtschaft nicht, das stünde auch in Widerspruch zu §5 unseres Grundgesetzes. Aber: Wes Brot ich ess …
von Janina Reibold aus der aktuellen Unimut, der Zeitschrift der Uni Heidelberg