Christoph Miemietz 22. Oktober 2015 - 10:21
Folgende Autonome Tutorien finden in diesem Semester statt. Sofern nicht anders vermerkt, beginnen die Tutorien in der Woche zum 26. Oktober und finden wöchentlich statt. Ein späterer Einstieg ist ohne Probleme möglich. Solltet ihr Interesse daran haben, an einem der Tutorien teilzunehmen, jedoch zum angegebenen Termin keine Zeit habt, schreibt unbedingt eine Mail an die Tutor_in. Meist kann ein Termin gefunden werden, der allen Teilnehmer_innen entgegen kommt. Häufig gestellte Fragen zu den Autonomen Tutorien findest Du hier. Allgemeine Infos zu den Tutorien findest Du hier.
Radikale Gesellschaftskritik oder Linksliberalismus? - Der Streit um die Fortsetzung Kritischer Theorie
Die gesellschaftskritischen, sozial- und geisteswissenschaftlichen Ansätze, die die Kritische Theorie, wie sie von Adorno und Horkheimer geprägt worden ist, heute fortzusetzen beanspruchen, sind extrem heterogen. Grob lassen sich zwei Fraktionen unterscheiden: Die eine - akademisch wohlsituiert - meint die Motive der Kritischen Theorie zeitgemäß nur fortsetzen zu können, indem sie wesentliche Positionen Adorno/Horkheimers revidiert. Die andere Fraktion, vertreten eher durch wenige akademische Außenseiter, außerakademische TheoretikerInnen und im linken Studierendenmilieu, versucht gerade jene Positionen zu aktualisieren, die von ersterer Fraktion aufgegeben wurden. Die Auseinandersetzung zwischen beiden Fraktionen lässt sich auf die Streitfrage, „Linksliberalismus oder radikale Gesellschaftskritik?“ insofern zuspitzen, als die einen nur noch eine interne Kritik am durch einen demokratischen Rechts- und Sozialstaat regulierten Kapitalismus formulieren, während die anderen an der Perspektive einer grundlegenden Überwindung der bestehenden Gesellschaftsform festhalten.
Das Tutorium soll die historischen und theoretischen Argumente dieser Auseinandersetzung nachvollziehen und diskutieren. Verhandelt werden sollen dabei vor allem folgende Themenkomplexe: das Theorie-Praxis-Verhältnis, die Kritik der kapitalistischen Produktionsweise und die Kritik des bürgerlichen Subjekts. Leitend soll dabei weniger die Frage sein, ob diese oder jene Fraktion sich rechtmäßig in einen Schulzusammenhang mit der Kritischen Theorie Adorno/Horkheimers stellt, vielmehr gilt es die unterschiedlichen Positionen daran zu bemessen, welche kritisch-analytische Kraft sie bezogen auf die gegenwärtige Gesellschaft und ihre Probleme haben.
Donnerstags 16:15 - 17:55 Uhr
Kontakt: Johannes (
)
Ort: S1/02/331
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Pikettys Kapital im 21. Jahrhundert
Die Kapitalrendite ist größer als das Wirtschaftswachstum - auf diese knappe Formel bringt Thomas Piketty die Entwicklung des modernen Kapitalismus. Damit einher geht seine Kritik an der starken Vermögenskonzentration des Kapitalismus, die letztendlich eine Bedrohung der Demokratie darstelle. Laut Piketty waren die sozialpolitischen Bemühungen, den Reichtum besser zu verteilen vergeblich.
Im Tutorium versuchen wir, diese Thesen und ihr Zustandekommen besser zu verstehen. Hauptsächlich stützen wir uns dabei auf Pikettys "Das Kapital im 21. Jahrhundert", mit dem der Autor zuerst einem breiteren Publikum bekannt wurde. Pikettys Titelwahl legt eine Verwandtschaft zu einem der großen Klassiker der Ökonomie nahe - Karl Marx' Kapital. Wir wollen auch der Frage nachgehen, inwiefern diese besteht oder ob seine Kapitalismuskritik einer anderen Praxis entspringt.
Das Buch ist eine volkswirtschaftlich-historische Arbeit. Das heißt aber nicht, dass solche Kenntnisse zur Teilnahme am Tutorium erforderlich sind. Wo erforderlich werden wir unser Wissen gemeinsam vertiefen.
Freitags 13:30 - 15:10 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Nico & Dirk (
&
)
Ort: S1/03/102
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Kritische Theorie der Arbeit
Mit dem Begriff der Arbeit ist eine der zentralen Formen gesellschaftlicher Vermittlung und Naturaneignung in der kapitalistischen Epoche bezeichnet. Nicht zuletzt deshalb hat Karl Marx gerade seine arbeitstheoretischen Überlegungen als den wesentlichen »Springpunkt« seiner Kritik der politischen Ökonomie bezeichnet. Marx ging es dabei vor allem um die Entschlüsselung der historisch-spezifischen Form und des herrschaftsförmigen Charakters moderner Arbeitsverhältnisse. In diesem Zuge kritisierte er nicht nur die ahistorische Arbeitswerttheorie der klassischen politischen Ökonomie, sondern auch den sich bereits früh anbahnenden Arbeitsfetisch der sozialistischen und sozialdemokratischen Strömungen.
Damit sind bereits zwei Aspekte einer kritischen Theorie der Arbeit genannt, mit denen wir uns im Rahmen dieses Tutoriums auseinandersetzen wollen: Einerseits eine ökonomiekritische Perspektive, die sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen der Verschränkung von Arbeit, Zwang, Herrschaft und Ausbeutung beschäftigt. Andererseits eine ideologiekritische Perspektive, die nach den gesellschaftlichen Bedingungen der Affirmation und Naturalisierung dieses Zusammenhangs fragt. Beiden gemein ist die Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen die Steigerung des Leistungsprinzips zu einem irrationalen Leitideal wird, das sich selbst noch ins spröde Freizeitleben hinein verlängert.
Paradoxerweise ist für diese Kritik auch eine »Arbeit des Begriffs« (Hegel) notwendig. Dass diese aber nicht zwangsläufig ermüdend sein muss, sondern zu spannenden Diskussionen führen kann, wollen wir in diesem Tutorium gemeinsam erproben. Beginnen wollen wir dabei mit exemplarischen Auszügen aus dem Marxschen Gesamtwerk, wobei wir einen Schwerpunkt auf die entfremdungstheoretischen Frühschriften sowie die späte Kritik der politischen Ökonomie legen werden. Hiervon ausgehend wollen wir uns mit verschiedenen Ansätzen auseinandersetzen, die in einer kritischen Weiterentwicklung auch auf zentrale blinde Flecken der Marxschen Gesellschaftskritik hingewiesen haben. Im Einzelnen wollen wir uns einen Einblick in wertkritische und operaistische, feministische und postkoloniale sowie antisemitismuskritische Positionen und Debatten verschaffen.
Zu Beginn der Tutoriums wird ein vorläufiger Semesterplan vorgestellt, welcher entsprechend der Bedürfnisse der Teilnehmer*innen ergänzt, gekürzt oder verändert werden kann. Inhaltliche Vorkenntnisse sind nicht notwendig.
Donnerstags 16:15-17:55 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Helge (
)
Ort: S1/03/107
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Können Naturgesetze lügen? - Kritik des naturwissenschaftlichen Weltbildes
Naturwissenschaftliche Erkenntnisse genießen in gesellschaftlichen Debatten eine dominante Rolle. Verweise auf die hard-sciences werden als ein Ende jedes weiteren Diskutierens und Weiterfragens wahrgenommen. Sie sind „objektiv“und „neutral“, es wäre verrückt an ihnen zu zweifeln. Sie verfolgen keine Interessen, sondern gehorchen nur den Gesetzen der Natur. Was entgegnet man schon, wenn gesagt wird, dass die Genetik bestimmt, dass Migrant_innen eine geringere Intelligenz aufweisen? Dass menschliches Verhalten evolutionär und nicht gesellschaftlich geprägt ist? Dass der Mensch sein Gehirn und neurologisch gesehen der menschliche Wille nicht frei ist? Dass am CERN doch nur um der bloßen Erkenntnis willen gearbeitet wird? Dass es psychologisch klug und der menschlichen Natur angemessen ist, konstruktiv mit zwischenmenschlichen Konflikten umzugehen?
Nicht zuletzt gibt es deshalb auch in politischen Debatten eine Tendenz, gesellschaftliche Sachverhalte an die Gegenstände der Naturwissenschaften angleichen zu wollen. Als „alternativlos“ beschworen, gelten sie als natürlich und unveränderbar. Sie folgen einer „inneren Logik“, haben ihre ewige „Natur“. Peu á peu wird so das Expertenwissen zur Grundlage der politischen Willensbildung.
Vor diesem Hintergrund wollen wir ein Autonomes Tutorium anbieten, das die ganz grundlegende Frage verfolgt: Können durch naturwissenschaftliche Methoden gewonnene oder bestätigte Erkenntnisse als „neutral“ bzw. „objektiv“ gelten? In welchem Sinne sind sie „falsch“ bzw. an bestimmte Machtinteressen gebunden? Das Tutorium wird sich hierfür mit verschiedenen Ansätzen aus unterschiedlichen Epochen auseinandersetzen, die alle einen kritischen, relativierenden Blick auf Praxis, Methoden, Urteile und Interpretationen der Naturwissenschaften richten. Beginnend bei Goethes Kritik an Newtons Optik werden wir uns über die phänomenologischen und marxistischen Einwände gegen ein scheinbar objektives, interessenloses Wissen über die feministische Kritik bis hin zu Nancy Cartwright (nicht die Synchronsprecherin von den Simpsons, sondern die Philosophin!) vorarbeiten, deren Hauptwerk auch die leitende Frage dieses Tutoriums vorgibt, nämlich: Können Naturgesetze lügen?
Dienstags 18:05-19:35 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Jörn & Jan-Frederic (
&
)
Ort: S2/15/204K
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Die Wissenschaft des Unberechenbaren
Ist man schon Mozart, wenn man eine gute Sinfonie wertschätzen kann? Oder gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen einer großen kreativen Leistung und der Anerkennung derselben? Die Antwort scheint offensichtlich, aber eine gute Begründung ist schwer zu finden. Überraschenderweise gibt es einen vielversprechenden Ansatz in der theoretischen Informatik: Ob Kreativität qualitativ anders ist als die Bewertung des kreativen Werks, ist der Kern des „P vs. NP“ Problems.
Die Wissenschaft von Berechenbarkeit, Komplexität, Logik und Information erlaubt, diese und viele weitere fundamentale Fragen exakt anzugehen. Dieses Autonome Tutorium erklärt und interpretiert Highlights dieser Forschung. Es richtet sich ausdrücklich an Studierende aus allen Fachbereichen, Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.
Auch wenn die endgültigen Antworten auf die großen Fragen noch nicht feststehen, haben wir schon vieles gelernt. Darunter sind auch Verbindungen zur Mathematik, Ökonomie, Linguistik, Philosophie und Physik. Die dabei untersuchten Phänomene scheinen also nicht nur Eigenheiten der elektronischen Computer zu sein, sondern tiefere Bedeutung zu haben. Besonders wichtig ist, was nicht möglich ist. Viele Aufgaben können nicht einmal „im Prinzip“ algorithmisch gelöst werden, andere sind „praktisch unlösbar“, da sie zu viele Ressourcen (Zeit, Raum, Energie, etc.) benötigen.
Ausgehend von diesem Wissen betreiben wir dann auch interdisziplinäre und philosophische Spekulation: Gelten die Einschränkungen der Rechner auch für den menschlichen Verstand oder übertreffen wir die Computer? Lassen sich alle physikalischen Prozesse simulieren? Ist Künstliche Intelligenz grundsätzlich möglich oder ein Hirngespinst? Wie können wir die Plausibilität physikalischer Theorien bewerten? Sind mathematische Beweise der Weisheit letzter Schluss? Und was interessiert euch besonders? Auch darauf können wir eingehen!
Donnerstags 18:05 - 19:45 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Robin (
)
Ort: S1/02/331
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Nation, Nationalismus, Rassismus - Ansätze zu ihrer Kritik
Die Neo-Nazis sind in großer Zahl wieder laut auf der Straße und scheinen der Beschreibung zu spotten. Sie marschieren auf, zünden Häuser an und greifen Menschen an. Man ist zwar mittlerweile, wie nach den Anschlägen zu Anfang der 1990er Jahre, in weiten Teilen der Bevölkerung betroffen und kann viele Bekundungen gegen den faschistischen Mob hören, diese berufen sich aber selbst nicht selten auf die deutsche Nation und die Kultur. Es scheint so, als würden den Faschisten, bei gleichzeitiger Verurteilung ihrer Taten, Argumente und Leute geliefert. Sie bekommen im Diskurs fortwährend partiell Recht und werden unterstützt, indem die nach Deutschland kommenden Menschen von vielen als unlösbares Problem und als Gefahr dargestellt werden, und da Organe wie der Verfassungsschutz und Teile der Polizei offensichtlich mit den Faschisten kooperieren.
Glücklicherweise gibt es einige Aktionen und Aufrufe gegen die Faschisten, es fehlt jedoch sowohl im Universitätsbetrieb als auch in den aktuellen linken Debatten an einer Kritik der Artikulationsweisen, auf die sich weitaus größere Teile der Bevölkerung argumentativ und in ihrer Lebensweise stützen: Nation, Ethnie und Kultur.
Im Rekurs auf ideologietheoretische Ansätze aus den späten 80er und frühen 90er Jahren sollen in diesem Autonomen Tutorium Ansätze zu einer Kritik von Nation, Nationalismus und Rassismus diskutiert werden, die gleichzeitig deren Funktionieren und Bedeutung in der kapitalistischen Gesellschaftsformation zu erklären versuchen. Es geht also um eine Kritik der Nation im Rahmen einer kritischen Gesellschaftstheorie, die nicht bei der Beschreibung von Diskursen stehenbleiben, sondern bis in die Praktiken und Rituale des Alltags in den Institutionen wie Schule und Familie die ideologische Formierung der Nation und des Rassismus aufzeigen und kritisieren soll.
Hierfür sollen zuerst Beiträge aus „Rasse Klasse Nation“ von Étienne Balibar und Immanuel Wallerstein gelesen werden, da diese maßgeblich für die Ausbildung einer kritischen Rassismustheorie im deutschsprachigen Raum gewesen sind. Auf diese deutschsprachige Debatte, die in den 90er Jahren begann und mittlerweile nur noch im akademischen Rahmen der Migrationsforschung Resonanz findet, kann im zweiten Teil des Tutoriums eingegangen werden.
Mittwochs 16:15-17:55 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: David (
)
Ort: S2/15/51
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Behemoth - Kapitalismus und Nationalsozialismus
Franz Neumann gehörte zu den Mitbegründern der Frankfurter Schule und zählte jahrelang zum Kern des Instituts für Sozialforschung. In der Emigration, auf der Flucht vor der Hitlerdiktatur, verfasste er eine der differenziertesten Analysen des Nationalsozialismus: „Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944“. Durch scharfe Beobachtung durchdringt Neumann in diesem Buch die faschistische Ideologie und widerlegt die mit ihr verbundenen Mythen. Einer der zentralen Reflexionen zielt auf die Verbindung des Nationalsozialismus mit der Ökonomie. Er zeigt auf, dass die Selbstbezeichnung des Nationalsozialismus deswegen falsch ist, weil das politische Herrschaftssystem nicht auf einer sozialistischen Ökonomie basiert und daher nicht von einem nationalen Sozialismus die Rede sein kann. Neumanns historisch-soziologische Analyse ist, nach einer zeitweiligen akademischen Rezeption, in der breiteren Öffentlichkeit bis heute kaum bekannt: Vor allem das Verhältnis von völkischer Ideologie und Ökonomie findet in den üblichen Debatten (sowie in Lehrplänen) kaum eine Thematisierung. Diese Reflexion soll im Tutorium nachgeholt werden. Das Tutorium richtet sich an Studierende der Geschichtswissenschaft, aber auch an andere Disziplinen gleichermaßen.
Dienstags 18:05-19.40 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Wladimir (
)
Ort: S1/03/161
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Zwei Anfänge kritischer Theorien: Das "Hegel-Nietzsche-Problem"
„Hegel und Nietzsche! Dieses Problem gilt es noch zu lösen“,
heißt es bereits vor 100 Jahren bei Karl Joël, und auch der heutige Rezipient, der nach Möglichkeiten kritischen Denkens nach Kants „kopernikanischer Wende“ sucht, trifft in unterschiedlichsten kritischen Ansätzen unausweichlich auf das lebendige Vermächtnis der titelgebenden Denker. Wer heute dagegenvereinnahmend von kritischer Theorie spricht, tut das im Angesicht einer Entwicklung, die diesen Singular unmittelbar Lügen straft: Neben dem umfassenden theoretischen Werk der Frankfurter Schule hat sich seit den 60er- und 70er Jahren ein breites Spektrum an neuen, kritisch motivierten Methoden und Strategien zur Analyse der gesellschaftlichen Realität entwickelt, die oft nur minimal miteinander verknüpft zu sein scheinen (Diskurs-, Macht-, Schizoanalyse, Subjektkritik u.a.). Nichtsdestotrotz hat man diese Denkströmungen oft, auch gegen den Widerstand der so bezeichneten Denker, zusammenfassend als „postmodern“ etikettiert, um sie von früheren Ansätzen, denen man eine Kontinuität mit dem Projekt der „Moderne“ zuspricht, abzugrenzen. Um dem wahren Kern, der in dieser grob schematischen Gegenüberstellung steckt, auf den Grund zu gehen, wollen wir in diesem Tutorium gemeinsam Konzepte wie „Ideologie“, „Genealogie“, „Differenz“, „Identität“ u.a., die etwa bei Adorno, Horkheimer, Foucault und Deleuze zentrale Bedeutung annehmen, auf ihren Ursprung in den Philosophien von Hegel und Nietzsche zurückverfolgen, um so ein Verständnis für die Problematiken zu entwickeln, die „modernes“ und „postmodernes“ Denken sowohl verbinden als auch trennen.
Das Tutorium ist als Lesekreis konzipiert, in dem wir uns zusammen in Textarbeit und Diskussion mit dem Thema auseinandersetzen sowie auf Lektürevorschläge vonseiten der Teilnehmer*Innen eingehen wollen. Inhaltliche Vorkenntnisse sind nicht erforderlich, dafür jedoch ein Interesse an der intensiven Auseinandersetzung mit den Texten.
Wir freuen uns auf spannende Diskussionen!
Terminänderung: donnerstags 18:05 - 19:40 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Michael & Tobias (
&
)
Neuer Raum: S1/03/125
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Materialistische Staatstheorie - Zur Aktualität einer marginalisierten Tradition
Obwohl uns staatliches Handeln tagtäglich begegnet, hat die gegenwärtige Sozialtheorie vom „Staat“ als Gegenstand ihrer Analyse weitestgehend Abstand genommen. Statt von ihm ist vom politischen System und dem System des Rechts die Rede. Doch ist damit bereits alles über den „Staat“ gesagt?
In diesem Tutorium wollen wir uns einer alternativen Denktradition zuwenden, welche den Staat als einen eng mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung verknüpften Raum analysiert. Aktualität beweist diese sogenannte „materialistische Staatstheorie“ durch alternative und innovative Erklärungsangebote, was Phänomene der Wirtschaft, der Politik aber auch der Kultur anbelangt. Je nach historischen Umständen können dann Wandlungen der einen Sphäre durch Entwicklungen innerhalb der anderen erklärt werden.
Ziel des Tutoriums soll sein, gemeinsam die staatstheoretische Debatte der letzten Jahrzehnte anhand einschlägiger Primärtexte zu erschließen und in kritischer Absicht zu diskutieren. Damit bewegen wir uns in einem interdisziplinären Umfeld verschiedener Gesellschaftswissenschaften, darunter Politikwissenschaft, Jura, Ökonomie und Soziologie, wodurch der Kurs auch für Studierende anderer Fachrichtungen, die mehr übergegenwärtige Tendenzen der staatlichen und ökonomischen Verquickung sowie deren Krisenhaftigkeit erfahren möchten, interessant sein dürfte. Besonders willkommen sind also auch Studienanfänger*innen und Kommiliton*innen anderer Disziplinen.
Den konkreten Verlaufsplan wollen wir gemeinsam entwickeln, weshalb gerne auf die Interessen der Teilnehmer*innen eingegangen wird und deren eigene Vorschläge mitberücksichtigt werden sollen!
Montags 18:05 - 19:45 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Tobias (
)
Ort: S1/02/331
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
I would prefer not to. Politik und Selbstzerstörung in Melvilles Bartleby
Dass der Schriftsteller Herman Melville schlicht „den Verstand verloren“ habe, stehe sehr zu befürchten, war zu Beginn der 1850er Jahre in einer amerikanischen Literaturzeitschrift zu lesen. Etwa zu jener Zeit erschien Melvilles mysteriöse Erzählung Bartleby the Scrivener, die über ein Jahrhundert später große Popularität in sozialen Bewegungen erreichte und eine bemerkenswerte Zahl philosophischer und politischer Neulektüren auslöste. Melville berichtet von einem rätselhaften Anwaltsgehilfen, der ohne weitere Erklärung beginnt, die ihm abverlangten Tätigkeiten mit der schlichten Formel „I would prefer not to“ abzulehnen, was seine Umgebung in zunehmende Unruhe versetzt. Alle Bemühungen seines Arbeitgebers, Bartleby zur Vernunft zu bringen, scheitern und seine unerklärliche Resistenz endet mit dem Hungertod im Gefängnis. Bartlebys Verweigerung wird nun heute einerseits als Prinzip einer „minoritären“ und antiinstitutionellen Politik gefeiert oder als Widerstandsmodell gegen postfordistische Ausbeutungs- und Herrschaftsmechanismen in Anschlag gebracht. Andere sehen in der aktivistischen Bezugnahme auf Bartlebys Irrationalität, Bewegungslosigkeit und Individualismus die Gefahr einer nihilistischen Anti-Politik. In den Diskussionen um den Text verdichten sich dabei theoretische Debatten verschiedener poststrukturalistischer und postmarxistischer Theorieströmungen; er ist anschlussfähig für die historischen Diskussionen um passiven Widerstand und zivilen Ungehorsam wie für aktuelle Auseinandersetzungen um Militanz und Gewaltfreiheit in der Linken; nicht zuletzt lässt sich an seiner Rezeptionsgeschichte das Verhältnis von Literatur, Gesellschaftstheorie und sozialen Bewegungen erörtern.
Vor diesem Hintergrund wollen wir versuchen, uns neben Melvilles Klassiker insbesondere Texte von Gilles Deleuze, Giorgio Agamben, Michael Hardt/Antonio Negri und Slavoj Žižek gemeinsam zu erschließen und zu diskutieren.
Das Tutorium eignet sich besonders für Studierende der Philosophie, Literatur- und Gesellschaftswissenschaften, ist aber offen für alle Interessierten.
Montags 14:25 - 15:55 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Max (
)
Ort: S2/15/409K
Am 02. und 16. November findet das Tutorium im Raum S1/01/A2 statt.
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Die letzte Rettung der Theorie: Adornos Negative Dialektik
Die Kritische Theorie in der Prägung der Frankfurter Schule gilt heute immer noch vielen als Referenzpunkt der kritischen Auseinandersetzung mit Gesellschaft perse. In Zeiten des theoretischen Eklektizismus aber reicht dies selten über einstichpunktartiges Rezitieren hinaus, sodass es meist dabei bleibt, die Kritische Theorie als Label und Aushängeschild vor sich herzutragen. Als Schlüsseldokument der Frankfurter Schule ist Adornos Negative Dialektik zugleich ein Meilenstein der Gesellschaftstheorie schlechthin. In seinem ausführlichen philosophischen Entwurf einer nichtsystematischen Theorie spiegelt sich die drängende Herausforderung einer Gesellschaftstheorie, die zugleich den Anspruch der Philosophie, System zu sein, zurückweist, als die notwendige Täuschung über den partiellen Charakter der philosophischen Begriffsbildung. Dies ist nicht einfach nur eine weitere philosophische Spitzfindigkeit und intellektueller Exzess, sondern der fast schon verzweifelte Versuch einer Rettung der Theorie an sich. So groß als oder Selbstanspruch des Werks ist, so sperrig fällt die Rezeption aus. Kaum ein Dokument ist so schwierig anzueignen und voraussetzungsvoll wie die Negative Dialektik. Zur bloßen Lektüre ist es damit fast ungeeignet, denn ohne einen Zugang, der sich nur über die Kenntnis der spezifischen Problematik, auf die Adorno antwortet, gewinnen lässt, bleibt seine Philosophie zumeist kryptisch. Damit ist die Negative Dialektik aber genau keines dieser Bücher, die man irgendwann schon mal lesen wird (wenn man die Zeit findet), sondern ein Werk, das wie kaum ein zweites in das Studium gehört. Denn nicht nur ist Adornos Denken an Schärfe und Intensität weithin uneingeholt, er verhandelt darin auch das Schicksal der Theorie als solche. Damit nimmt er Probleme (und ihre Lösungen) vorweg, die in der weiteren Theorieentwicklung ganze Generationen umtreiben und verzweifeln lassen, und holt uns damit zurück zu einem Punkt, an dem Theorie noch möglich scheint, trotz und gerade wegen ihrer objektiven Unmöglichkeit. Dies nachzuvollziehen und sich gemeinsam durch die mitunter schwierige Lektüre dieses zentralen Werkes zu arbeiten, soll der erklärte Anspruch des Autonomen Tutoriums sein. Inder Konzentration auf ein einziges Buch, welches zusammen gelesen werden soll, geht es aber über diesen Gegenstand weit hinaus und knüpft an Fragestellungen erheblicher Tragweite an: Was ist Gesellschaft und wie lässt sich einanalytischer Zugang dazu gewinnen? Was ist Philosophie und welchen Problemen ist sie notwendigerweise ausgeliefert? Und nicht zuletzt, wie gehen wir heute mit diesen Aspekten um?
Montags 18:05 - 19:40 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Alex (
)
Ort: S1/03/161
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Kritik des liberalen Rechtsdenkens
Das „moderne Recht“, wie es sich in Abgrenzung von früheren Formen, wie etwa des mittelalterlichen ständischen Rechts, präsentiert, basiert maßgeblich auf liberalen Prämissen. Wie die frühen liberalen Theoretiker argumentieren, sei das Recht Vorbedingung der Freiheit, da es die (Privat-)Autonomie der Subjekte schützt und beim Verkehr mit anderen die Ansprüche der einzelnen Subjekte mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen vermag. Ansprüche einzelner werden also mit der Durchsetzungsmacht verbunden, der Konnex von subjektiven Rechten als Berechtigungen oder Ansprüchen mit der Durchsetzungsgewalt als unauflöslich betrachtet. Nur durch diese Verbindung könnten – wie schließlich in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte proklamiert – Freiheit, Gleichheit und Eigentum gesichert werden.
Bekanntlich unterzog bereits Marx die „abstrakten“ Menschenrechte einer fundamentalen Kritik, eine systematische Theorie des Rechts findet sich in seinen Schriften jedoch nicht. Der Versuch einer Systematisierung der Rechtskritik und -theorie in materialistischer Absicht wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von Eugen Paschukanis unternommen, wobei der Versuch im Vordergrund stand, die Rechtsform analog zur Warenform bei Marx zu untersuchen. Auch aus dem Kreis der frühen Kritischen Theorie gab es vor allem von Franz L. Neumann den Versuch einer materialistischen Rechtstheorie. Diese übernahm weitgehend die liberalen Begrifflichkeiten, legte also im Gegensatz zu Paschukanis keine eigene Rechtsformanalyse im strengen Sinne vor. Neue Relevanz fanden diese beiden Ansätze vor allem in den 70er Jahren, nicht zuletzt durch Oskar Negts Thesen zur marxistischen Rechtstheorie, mit denen eine neue Rechtsformanalyse angestoßen wurde, welche jedoch schon früh wieder abebbte.
In dem Tutorium sollen diese Stränge wieder aufgenommen werden und auf ihre Aktualität bzw. die Möglichkeit einer Reaktualisierung geprüft werden. Dazu werden zunächst grundlegende Begrifflichkeiten und Theoreme der liberalen Theorie erarbeitet, um diese dann einer materialistischen Kritik zu unterziehen. Inwiefern diese Kritik eine radikale sein muss, die letztendlich auf das Absterben des Rechts zielen muss, wie es im Anschluss an Marx und Engels oft angebracht wurde, oder aber inwiefern sich daraus eine positive materialistische Rechtstheorie entwickeln kann, die subjektive Rechte weitgehend ohne den Rechtszwang zu denken versucht bzw. emanzipatorische Gehalte des Rechts hervorhebt, wie jüngst Sonja Buckel, soll in dem Tutorium offen diskutiert werden.
Mittwochs 14:25 - 16:05 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Hannes (
)
Ort: S1/03/64 (Nebenraum des Offenen Raums)
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Elemente des Antisemitismus und der autoritäre Charakter
Die Bedingungen des Faschismus sind – daran erinnern nicht nur Pegida-Aufmärsche oder brennende Flüchtlingsheime - weiterhin gegeben.
Der Zivilisationsprozess ist vor allem eine Geschichte der Verfolgung. Alle Verfolgung basiert laut Horkheimer und Adorno auf „falscher“ bzw. „pathischer Projektion“. Sie sehen in der Projektion einen Mechanismus jeder Wahrnehmung, der als „Vermächtnis der tierischen Vorzeit“ dem „Zwecke von Schutz und Fraß“ diente, indem höhere Tierarten „unabhängig von der Absicht des Objekts“ auf „Bewegung reagierten“. „Projektion ist im Menschen automatisiert wie andere Angriffs- und Schutzleistungen, die Reflexe wurden.“ Das Pathische oder Falsche ist jedoch „nicht das projektive Verhalten als solches, sondern der Ausfall der Reflexion darin“, also die rationale Überprüfung, ob dem Objekt der Projektion die übertragenen Eigenschaften überhaupt faktisch zukommen. Beim Paranoiker wird die „hemmungslose Projektion“ „zugleich zum eigenen und zum fremden Zweck, ja zum Zweck überhaupt“; „der Unterschied von außen und innen, die Möglichkeit von Distanzierung und Identifikation, das Selbstbewußtsein und das Gewissen“ geht bei ihm verloren. Klassischerweise haben die großen Religionen die Paranoia bekämpft (aber auch partiell, bei der Verfolgung von 'Ungläubigen', entfesselt und befördert). Das Bürgertum der Aufklärung hielt den religiösen Dogmen die Bildung entgegen. Sie regredierte jedoch im Laufe der ökonomischen Entwicklung und der Integration durch die Kulturindustrie zur Halbbildung, die nicht einfach bäuerliche Unbildung, sondern z.B. in Form von esoterischen Alltagslehren (Verschwörungs'theorien', Yoga-Kulte, Vegetarismus, Fan-Communities usf.) ihr genaues Gegenteil ist. Sind paranoide Bewusstseinsformen demzufolge auch in spät-liberalen Gesellschaften weit verbreitet, wird im völkischen Vernichtungsantisemitismus die Paranoia gänzlich von der „Politik ergriffen, das Objekt der Krankheit [...] realitätsgerecht bestimmt, das Wahnsystem zur vernünftigen Norm in der Welt, die Abweichung zur Neurose gemacht.“ Für den faschistischen Wahn „sind die Juden nicht eine Minorität, sondern
die Gegenrasse, das negative Prinzip als solches; von ihrer Ausrottung soll das Glück der Welt abhängen.“ Der Faschismus ist nicht allein ein Rückfall der Aufklärung in die Barbarei, sondern als „Bündnis von Aufklärung und Herrschaft“, als „Talmi-Mythos“, die Vollendung einer bloß formal gewordenen Vernunft im Dienst der absoluten Irrationalität. Gegen das paranoide Bewusstsein hilft auch kein Logik-Kurs, da er nicht vor material-falschen Urteilen schützt. Als Ausweg bleibt allein: die Reflexion auf die Dialektik der Aufklärung.
Im Tutorium werden Texte von Freud, Adorno und Horkheimer gelesen. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.
Montags 18:05 - 19:45 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Mirko (
)
Ort: S1/03/164
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Sexus und Geist: Philosophie im Geschlechterkampf
Ladyfeste, Riot Grrrls und Judith Butler haben den Feminismus in den 90er Jahren rehabilitiert. Diese dritte Phase der Frauenbewegung führte zur Verbreitung des Studienfaches Gender Studies, in denen Geschlechterverhältnisse vor allem unter dem Label des Poststrukturalismus erforscht werden. Zudem fungiert sie als Kritik an der Vorstellung von Emanzipation der vorangegangenen Frauenbewegung, die das Frau-Sein in positiv konnotierte Bilder umzudeuten versuchte und ein Stolz aufs Weiblich-Sein propagierte, mit dem Ziel die gleiche soziale Stellung wie Männer einnehmen zu können. Laut Butler würde hierbei die binäre Klassifikation der Geschlechterordnung reproduziert, die die missliche Lage der Frauen und queeren in der Gesellschaft erst konstituiert. Demzufolge sieht sie in der Dekonstruktion von Geschlecht den einzigen Weg der Emanzipation nicht-männlicher/heterosexueller Individuen. Diese Neutralisierung des Geschlechts affirmiert jedoch die kapitalistische Logik, die auf Vereinheitlichung zielt: Dem Kapital ist das Geschlecht egal. Ähnlich skeptisch gegenüber der Aufwertung des Weiblichen, die Dekonstruktion jedoch ablehnend, weist Christoph Türckes weitaus unpopulärere ethnologisch-historische Analyse, die mithin als eine Kritische Theorie der Geschlechter verstanden werden kann, in eine andere Richtung. Im Anschluss an die Überlegungen aus der Dialektik der Aufklärung veranschaulicht Türcke die Genese der Geschlechterverhältnisse anhand der historischen Phasen des Matriarchats, Patriarchats und der kapitalistischen Gesellschaft. Er deutet das Matriarchat bereits als eine hochentwickelte Kultur der Natur- und Menschenbeherrschung, wovon der Fund von Venusstatuetten, die ca. 10.000 v. Chr. der kultischen Verehrung des Weiblichen dienten, zeugen. Die Verehrung des Weiblichen bzw. des Mütterlichen ist Ausdruck des Geistes, da die Geburt einen neuen Anfang schafft, sich von der bloßen Natur löst und diese nicht einfach wiederholt. Die Verselbstständigung des Geistes von der Natur, oft alleinig dem Patriarchat zugeordnet, ist folglich im Matriarchat schon angelegt und kein vollständiger Bruch mit ihm! Im Patriarchat tritt an die Stelle der Geburt als höchster Ausdruck des Geistes die Arbeit, die aufgrund der geschlechtlichen Arbeitsteilung – der Mann ist produktiv, die Frau reproduktiv - männlich konnotiert ist. Die Frau wird zum Bild der Natur, Projektion der männlichen Sehnsüchte wie etwa Promiskuität und Naivität, die mit der Lossagung vom Naturzwang geopfert wurden. Die kapitalistische Gesellschaft, als spätes Produkt der patriarchalen Naturbeherrschung, führt schließlich laut Türcke zur Indifferenz der Geschlechter, aus deren Zwängen sich beide Geschlechter nur gemeinsam befreien können.
Als Ergänzung zu Türckes Sexus und Geist, soll im Tutorium Friedrich Voßkühlers Monographie „Begehren-Lieben-Denken“ in Auszügen gelesen werden, die den historischen Wandel der Bilder von Weiblichkeit rekonstruiert, die zwar stets Spiegel der gesellschaftlichen Wirklichkeit waren, aber auch über sie hinaus weisen, indem sie ihre Mangelhaftigkeit offenbaren.
Studierende aller Fachrichtungen, die an kritischer feministischer Theoriebildung interessiert sind oder aus ihrem poststrukturalistischen Schlummer geweckt werden wollen, sind willkommen. Vorkenntnisse sind nicht notwendig.
Freitags 18:05–19:35 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Christiane (
)
Ort: S1/03/164
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑
Lebenskunst im Ausgang des Nihilismus
Von den Göttern verlassen und durch die Wissenschaften belehrt, findet sich der moderne Mensch in einer entzauberten Welt vor, von der er weder erfährt, was der Sinn des Lebens sei, noch was zu tun wäre, um an einen solchen Sinn zu gelangen. Der moderne Mensch ist völlig auf sich gestellt, auf sich zurückgeworfen und starrt gelegentlich gegen die Decke. Der Himmel kann ihm nichts geben. Die Hölle auch nicht.
Die Formulierung, „Gott ist tot“, stammt bekanntlich von Nietzsche. Anstatt sich aber der Sinnlosigkeit des Nihilismus zu unterwerfen und ein sinnloses Leben zu führen, das weder Ziele noch Hoffnungen in sich trägt, verkündete Nietzsche in Gestalt des „Zarathustra“ die Lehre des Übermenschen. Ein solcher bedürfe keines Gottes, da er selbst schöpferische Potentiale in sich trage, um sich selbst seinen eigenen Sinn des Lebens zu kreieren. Dabei bezog er sich positiv auf die Idee des Lebenskünstlers. Dies wäre ein Mensch, der es eben versteht, so zu leben, dass sein Leben selbst ästhetischen Kriterien gerecht wird. Der Lebenskünstler wäre dabei eine Art Drehbuchautor, der analog zum Film, seinem Leben „Gestalt“ gibt.
Aber die Idee des schöpferischen Menschen wurde nicht vorbehaltlos zur Lebenspraxis des modernen Menschen. Gerade die Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeugt dies. So findet zum Beispiel der Protagonist namens Ulrich aus dem Buch „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil keine konkreten Lebensentwurf, in dem er schöpferisch sein kann. Ähnliches gilt auch für den „Zauberberg“ von Thomas Mann, in welchem der Protagonist Hans Castorp vollkommen nutzlos über etliche Jahre hinweg auf einem Sanatorium dahin vegetiert und seine Lebensjahre verstreichen lässt. Noch entschiedener wird dieses Motiv des unproduktiven Menschen in Pessoas „Buch der Unruhe“ weitergeführt, in welchem der Hilfsbuchhalter Bernardo Soares eine „Autobiographie ohne Ereignisse“ schreibt, da er ein Leben führt, in dem nichts passiert. Unfähig zu handeln und in das aktive Geschehen einzugreifen, schwelgt der Bernardo Soares in seinen Tagträumen und Empfindungen.
Im Tutorium wollen wir als Einstieg für die „Lebenskunst im Ausgang des Nihilismus“ mit Pessoas Werk, „Das Buch der Unruhe“ beginnen. Dies soll anschließend mit Nietzsches Überlegungen zum schöpferischen „Übermenschen“ kontrastiert werden. Nach diesem Einstieg wäre eine Auseinandersetzung mit Foucault (z.B. „Technologien des Selbst“ oder „Ästehtik der Existenz“) oder Adorno („Minima Moralia“) denkbar.
Donnerstags 18:05 - 19:40 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Anh (
)
Ort: S1/03/110
↑ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ↑