Y. I. Apr 4 2023 - 11:22am
Liebe Kommiliton:innen,
auch für dieses Semester haben sich einige eurer Mitstudent:innen wieder die Mühe gemacht, sich in verschiedene Fragestellungen und Themenkomplexe einzuarbeiten und diese nun wöchentlich als Autonomes Tutorium anzubieten. Für euch also die sehnlichst vermisste Gelegenheit, endlich den Anschluss an heiß diskutierte Debatten zu finden, endlich ein tieferes Verständnis von Wissenschaft und Gesellschaft zu erarbeiten, endlich die von verschulten Modulplänen ausgesparten Ansätze zu ihrem Recht zu bringen und endlich Einsichten zu gewinnen, die ihren Zweck nicht in bestandenen Klausuren erschöpfen.
Autonome Tutorien widmen sich Themen, die im straffen Lehrplan der Form und dem Inhalt nach keinen Platz finden. Sie bieten die Möglichkeit, eigenen wissenschaftlichen Interessen ungezwungen nachzugehen und sie in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu stellen. Das ist angesichts des stetigen Drucks im Studienalltag zwar leider häufig kaum möglich, der Erfahrung nach finden sich in den Tutorien aber dennoch viele Studierende ein, denen das Thema am Herzen liegt und die die Zeit und Muße mitbringen, sich der Sache aufmerksam zu widmen. Und gerade bei schwierigeren Themen werden Wissenshierarchien nicht gegeneinander ausgespielt, sondern alle Teilnehmer:innen mit einbezogen.
Solltet ihr an einem der geplanten Termine keine Zeit haben, meldet euch gerne bei den Leiter:innen des Tutoriums. Manchmal ist eine Terminänderung in Absprache mit den Teilnehmer:innen möglich. Auch ein späterer Einstieg ist kein Problem.
Wir hoffen auf reges Interesse und freuen uns auf eure Teilnahme!
|
Solltet ihr allgemeine Fragen zum Projekt haben, schreibt uns gerne an , bei Fragen zu den einzelnen Tutorien, schreibt den jeweiligen Tutor:innen einfach direkt.
Ihr möchtet selbst ein Tutorium anbieten? Gegen Ende der Vorlesungszeit wird eine Bewerbungsfrist durch Aushänge, über Mailverteiler und auf den Webauftritten des AStA bekanntgegeben. Die eingereichten Konzepte werden dann anonymisiert und von einer vom AStA gestellten Auswahlkommission diskutiert und ausgewählt. Alle weiteren Informationen dazu findet ihr auf unserer Übersichtsseite zur Ausschreibung.
Die Tutorien:
- Exploring Feminist Research Methodologies in the Social Sciences
- Eine kritische Psychologie des Systems Prostitution
- Louis Althusser und die politische Philosophie der frühen Neuzeit und der Aufklärung
- Techno, Rave und Clubculture
- „Harte Strafen, starker Staat, wie’s der Kapitalismus nun mal mag!“
- Körper vor Gericht. Rechtskritik beim frühen Marx
- Wider das Ende der Utopie? Potenzial und Kritik der Utopie(n)
- Spontaneität und Organisation. Substantielles zur Organisierungsdebatte
- Zivilgesellschaft und Bandenherrschaft. Modi kapitalistischer Krisenbewältigung
- (Gehirn == Computer && Bewusstsein == Simulation)
- Wenn Wahlen gar nichts ändern. Demokratie in der Klassengesellschaft
- Revolution für das Leben
Exploring Feminist Research Methodologies in the Social Sciences
What makes feminist research actually feminist? How does feminist theory play a role in the ways in which we construct and conduct our research? What methodological and ethical considerations need to go into a social sciences research project to make it both feminist and critical of imperial, racist and patriarchal assumptions? In this tutorial, together we will explore the history of the academic and theoretical feminist tradition, what kinds of feminist research methodologies exist, how to conduct interdisciplinary research from a feminist standpoint, and how to address and reflect on our own positionality/bias as researchers. By the end of this tutorial we will have a toolbox of diverse feminist methodologies at our disposal, and the skills to apply them to our own research. The tutorial is open to anyone who is interested in learning more about feminist research methodologies, and after a comprehensive overview of the subject matter, we will determine as a group which topics we want to explore further in depth.
Kontakt: Maya (
)
Termin: Montags 14:25 – 15:55 Uhr [das Tutorium findet hybrid statt; fragt am besten per Mail den Zoom-Link an]
Erste Sitzung: 24. April
Raum: S1|03/10
Eine kritische Psychologie des Systems Prostitution
Im Zuge der Liberalisierung von Sexualität und der voranschreitenden Kommodifizierung von Intimität scheint die Forderung, dass Prostitution ein „Job wie jeder andere“ und entstigmatisiert werden solle, so selbstverständlich wie nie. Die öffentliche Rezeption bewegt sich zwischen der Ästhetisierung und Dämonisierung ihrer Adepten. In öffentlich-rechtlichen Dokumentationen berichten Studentinnen davon, wie sie sich mit sporadischen Escort-Dates ihr Studium finanzieren, doch weisen politische Aktivistinnen darauf hin, dass Sexkauf Gewalt an Frauen sei. Diese Debatte spaltet das feministische Lager und gibt Anlass, sich von der Frage der politischen Verwaltung wegzubewegen, um die Motive der Akteure des Systems Prostitution zu sezieren und verstehen zu lernen.
Anhand von psychoanalytischen Texten, von und über Sigmund Freud, Jacques Lacan, Gerda Barag und Wilhelm Reich, untersuchen wir die psychischen Anreize von Prostituierten und Sexkäufern, hinterfragen aber auch eventuell überholte Auffassungen genannter Theoretiker. Zentrale Fragestellungen sind: Gibt es einen ‚prostituiven Charakter‘ oder sind die Prägung und Umstände entscheidend? Welche wahren Wünsche stecken hinter dem Kauf oder Angebot sexueller Dienstleistungen? Anhand von klassischer Literatur, z.B. Fjodor Dostojewskij oder Arthur Schnitzler, können wir uns mit der Frage des Stigmas auseinandersetzen und dem Verhältnis von Ressentiment und seiner Konsequenz. Außerdem reflektieren wir den sich verändernden Zeitgeist in Bezug auf Sexualmoral durch Texte von Theodor W. Adorno, Karl Kraus, Friedrich Engels und Michel Foucault. Welche Funktion hat Prostitution für die Gesellschaft und welche Funktion erfüllt die Beschäftigung mit ihrer Verwaltung? Hat Moral damit zu tun?
Kritisch hinterfragt werden außerdem die Motive der Protagonisten im politischen Diskurs. Egal ob bürgerlich-konservativ, radikal-feministisch sex-negativ oder links-liberal und woke: Politische Haltungen stiften Identität und sind oft Nebenschauplätze für psychisches Agieren. Aus welchen Gründen man bezüglich der Prostitution entweder besonders liberal, engagiert oder rigide sein könnte, werden wir erforschen.
Die Beschäftigung mit der genannten Literatur soll darauf abzielen, am Ende des Tutoriums sowohl kritische Reflexion als auch tieferes Verständnis für alle Protagonisten des Themenkomplexes erlangt zu haben.
Kontakt: Stefanie (
)
Termin: Montags 18:05 – 19:35 Uhr
Erste Sitzung: 24. April
Raum: S1|03/10
Louis Althusser und die politische Philosophie der frühen Neuzeit und der Aufklärung
Der französische Philosoph Louis Althusser (1918-1990) ist vor allem für seine Marx-Lektüre und seine Beiträge zur Ideologietheorie bekannt. Marx und der Marxismus bilden die zentralen Fixpunkte von Althussers Denken und Wirken, aber darüber hinaus hat er wie kaum ein anderer im Umfeld der französischen Theoriebildung der Nachkriegszeit auch die politische Philosophie der frühen Neuzeit und der Aufklärung in den Blick genommen. Neben Spinoza, dessen Einfluss auf Althusser so prägend wie obskur war, hat er auch Autoren wie Machiavelli und Montesquieu, Locke und Rousseau einen beachtlichen Teil seiner Lehrtätigkeit und viele (zu Lebzeiten teils noch unveröffentlichte) Texte gewidmet.
Dieser Ausschnitt aus Althussers Schaffen soll dem Tutorium als Anlass dienen, gemeinsam eine neue Perspektive auf die Klassiker des politischen Denkens einzuüben. Althusser verortet die kanonischen Texte als Parteinahmen in den Kämpfen ihrer Zeit, prüft sie aber auch auf ihren unabgegoltenen philosophischen Gehalt. Diese theoretische Auseinandersetzung dient ihm zum einen als „notwendige Propädeutik zum Denken von Marx“, womit er den gewöhnlich eingeschlagenen Königsweg verlässt, der von Hegel zu Marx führt. Zum anderen entdeckt Althusser in diesen Werken die Spuren eines untergründigen Denkens historischer Kontingenz und schlägt damit möglicherweise eine Brücke zu gegenwärtigen Strömungen in der politischen Theorie, die
auf der konstitutiven Veränderbarkeit gesellschaftlicher Ordnungen beharren.
Keine Lektüre ist unschuldig, das hat Althusser mit Nachdruck betont. Im Tutorium wollen wir gemeinsam herausfinden, was das für seine Interpretationen der politischen Philosophie bedeutet und was wir daraus für unsere eigene theoretische Arbeit lernen können. Wo es uns hilfreich erscheint, werden wir auch Ausschnitte aus den Primärtexten heranziehen. Da die entsprechenden Texte Althussers zu einem großem Teil auf anschaulichen Vorlesungen und Seminaren beruhen, sollten sie auch für solche Interessierte zugänglich sein, die nicht viel Vorwissen mitbringen.
Kontakt: Sebastian (
)
Termin: Montags 18:05 – 19:35 Uhr
Erste Sitzung: 24. April
Raum: S1|03/164
Techno, Rave und Clubculture
Von Techno und der Rave- bzw. Clubculture geht seit den 1990er Jahren eine ungebrochene Faszination aus. Weltweit ziehen Festivals und andere Veranstaltungen für elektronische Tanzmusik Zehntausende an, Bilder und Videos von Raver:innen fluten die sozialen Netzwerke und Interessenvertretungen wie die Berliner Clubcommission werden nicht müde, die touristische – also ökonomische – Relevanz ihres Metiers zu betonen. Im Frankfurter Museum Of Modern Electronic Music (MOMEM) wird Techno musealisiert und der Mitbegründer der Loveparade Dr. Motte hat die Musik zum prospektiven immateriellen Welterbe erklärt. Als musikalische Innovation in die Welt gekommen und mit Ideen von Fortschritt und Subversion assoziiert, durchschreitet Techno nicht erst seit gestern den Prozess der Kommerzialisierung und Institutionalisierung.
Im Autonomen Tutorium möchte ich Techno und die damit verbundene Kultur aus verschiedenen thematischen und theoretischen Perspektiven beleuchten. Anhand von Adornos Ideen zur Musiksoziologie sollen zu Beginn Fragen nach dem gesellschaftlichen Gehalt von Musik aufgeworfen werden. Anschließend möchte ich der musikalischen Herkunft von Techno nachgehen und musiktheoretische Analysen von stilbildenden und zeitgenössischen Hörbeispielen versuchen. Außerdem soll über Techno als Jugend- und Subkultur diskutiert werden. Hierbei wird auch Gelegenheit dazu sein, gemeinsam ausgewählte Facetten derselben – z. B. Techno als expressive culture, Techno als Ritual, Technoästhetik, Techno und Drogen, Techno im Film oder Techno und deutsche Zeitgeschichte – detaillierter zu betrachten. Abschließend möchte ich auf kulturindustrielle Vereinnahmungs- und Verwertungstendenzen eingehen und prüfen, ob und inwiefern sich dem entgegen ein der Musik und ihrer Szene eignendes subversives Potential behaupten lässt.
Willkommen sind alle, die Lust haben, sich zu fragen, warum von Techno und der Rave- bzw. Clubkultur eine derartige Attraktivität auf viele Hörer:innen ausgeht. Dabei sollen Musik, Gesellschaft und individuelle Bedürfnisse miteinander ins Verhältnis gesetzt werden, um hieraus Einsichten für die kritische Reflexion derselben zu gewinnen. Besondere Vorkenntnisse sind dazu nicht vonnöten.
Kontakt: Jonas (
)
Termin: Dienstags 16:15 – 17:45 Uhr
Erste Sitzung: 25. April
Raum: S1|02/244
„Harte Strafen, starker Staat, wie’s der Kapitalismus nun mal mag!“
Warum werden friedliche Hörsaalbesetzungen mit einem Aufgebot hunderter Polizist:innen beantwortet? Warum prügelt der Staat auf Klimaprotestierende in Lützerath ein? Und was haben all die Menschen im Gefängnis eigentlich falsch gemacht?
Gemeinsam wollen wir herausfinden, was Gewalt und Strafen eigentlich mit der kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft zu tun haben. Mit welchen legalen Mitteln wird Ungerechtigkeit fortgeschrieben, welche Ideologien von ‚Gleichheit‘ und ‚Freiheit‘ wirken im Kapitalismus fort?
Ziel ist ein kritisches Verständnis kapitalistischer Vergesellschaftung, das die Kategorien von Staat und Gewalt, Recht und Strafe in ihrem historisch-konkreten Verhältnis für Vergangenheit und Gegenwart reflektiert, um gemeinsam eine Kritik auf der Höhe der Zeit zu formulieren. Dabei stehen gerade Texte von Autor:innen im Vordergrund, die unter dem akademischen Radar fliegen – und vielleicht gerade deshalb – Einsichten vermitteln können, die gängige bürgerliche Phrasen hohl klingen lassen. Dass der Kapitalismus friedlich sei, dass staatliche Gewalt und Strafen ja demokratisch zurückgebunden seien oder dass der Staat und das Recht für uns alle da seien – solch gängige Parolen wollen wir gemeinsam hinterfragen.
Kontakt: David (
)
Termin: Dienstags 18:05 – 19:35 Uhr
Erste Sitzung: 25. April
Raum: S1|02/331
Körper vor Gericht. Rechtskritik beim frühen Marx
Ein beachtlicher Anteil der frühen Schriften Karl Marx’ stellen kritische Beiträge zur Rechtsphilosophie dar. Im Fokus der Kritik stehen dabei der Gleichheitsgrundsatz des Rechts sowie das negative Freiheitsverständnis des sog. politischen Staates und der bürgerlichen Gesellschaft. In ihnen drücken sich für Marx spezifische Formen der Freiheit und Gleichheit aus: Die negative Freiheit »zu tun und zu treiben, was keinem anderen schadet« (MEW 1, S. 364); die Gleichheit als Gleichheit vor dem Gesetz. Die Menschen würden in dieser Konstellation wahlweise als Schranken, Monaden oder Egoisten verstanden, die einander nicht mehr als »Verwirklichung ihrer Freiheit« (MEW 1, S. 365) verstünden, sondern als deren Hemmnis. Die Verschränkung solcher Freiheit und Gleichheit scheint Marx kritikwürdig.
Nimmt man diese Diagnosen für sich allein, bleibt jedoch unklar, weshalb diese Erscheinungen von Gleichheit und Freiheit überhaupt problematisch sind. Was spricht gegen die Freiheit als Freiheit ›zu tun und zu treiben, was keinem anderen schadet‹? Weshalb sollte der Gleichheitsgrundsatz des Rechts fehlgehen?
Dieses Autonome Tutorium möchte Marxens Kritik des Freiheits- und Gleichheitsgrundsatzes der sog. bürgerlichen Gesellschaft und des politischen Staats nachgehen. Ein Fokus wird auf dem Spannungsverhältnis des Menschen in seiner individuellen leiblichen Erscheinungen und seiner bedürftigen Verwiesenheit auf Andere liegen. Wir wollen uns dabei sowohl die Schriften des frühen Marxens als auch eine marxistisch inspirierte Rechtsphilosophie einzuführend erarbeiten.
Es ist kein Vorwissen erforderlich. Alle Wissensstände, Semester und Fächer sind herzlich willkommen! Vor dem Text sind schließlich alle gleich.
Kontakt: Luis (
)
Termin: Mittwochs 13:30 – 15:00 Uhr
Erste Sitzung: 26. April
Raum: S1|03/164
Wider das Ende der Utopie? Potenzial und Kritik der Utopie(n)
Mit Thomas Morus Utopia etablierte sich vor mehr als 500 Jahren nicht nur ein neues literarisches Genre, sondern auch eine bestimmte politisch-narrative Konstellation, die seither immer wieder Inspiration als auch Anlass für Kritik bot. Die Faustregel je mehr Krise, desto größer die Sehnsucht nach Utopia, scheint sich derzeit wieder zu bestätigen: Der Begriff der Utopie bzw. des Utopischen trendet sowohl im politisch-aktivistischen Bereich, in Kunst und Literatur (auch der dystopischen) als auch in politik- und gesellschaftstheoretischen Debatten.
Doch bei der genaueren Betrachtung lässt sich unschwer erkennen, dass der Begriff fast schon so exzessiv genutzt wird, dass er sowohl den Wunsch nach einem neuen Fahrradweg als auch eine radikal anders ausgemalte Gesellschaft umfassen kann. Das Spektrum dessen, was als Utopie oder als Utopisches bezeichnet wird, ist demnach breit. Gemeinsam scheint lediglich der Wunsch, das Gegebene zu kritisieren, dessen Kontingenz aufzuzeigen und (meist) kreativ umzudenken – sei es als Gedankenexperiment oder mitsamt konkreter Transformationsperspektive.
Zugleich erschütterten spätestens die Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts jeden Optimismus, die Widersprüche des Fortschritts traten offener zutage als je zuvor. Auch die Utopie wurde einer scharfer Kritik unterzogen. Die Frankfurter Schule besann sich des Bilderverbots, der Poststrukturalismus verabschiedete sich von den großen Erzählungen, im Fokus der Theoriebildung standen Negation und Dekonstruktion. Allerspätestens mit dem Ende der Geschichte schien das Ende der Utopie besiegelt – und doch ist sie in aller Munde.
Gemeinsam wollen wir uns verschiedene Utopiebegriffe erarbeiten und nach der Funktion und dem Wert der Utopie(n) fragen. Brauchen wir Utopien, und wenn ja wofür? Was sind die Probleme? Malt die Utopie den guten Ort – gar den besten – oder ist sie vor allem Kritik am status quo und Gedankenexperiment? Können wir Veränderungen ohne Utopien denken? In welchem Verhältnis stehen Utopie und Transformationsperspektiven?
Kontakt: Magdalena (
)
Termin: Mittwochs 14:25 – 15:55
Erste Sitzung: 26. April
Raum: S1|03/11
Spontaneität und Organisation. Substantielles zur Organisierungsdebatte
Seit einigen Jahren werden etwa in den Zusammenhängen mit den Bewegungen zur Eindämmung des Klimawandels Forderungen lauter, die einen Systemwandel anstatt eines Klimawandels fordern.
Dasselbe ließe sich für progressivere Vorschläge mit der Covid-Pandemie umzugehen, sagen. Politik wird als der gesellschaftlichen Totalität enthoben betrachtet, die nur aufgrund von wissenschaftlichen Einsichten die richtige Entscheidung treffen müsse, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Wie soll allerdings ein gesellschaftliches 'System' verändert werden, dessen politischen Formen genau eben nicht frei ihre eigenen Gesetze setzen kann, sondern ebenso gesellschaftliche Grundlagen besitzt.
Im Tutorium soll anhand von Texten sogenannter häretischer linker Traditionen ein Problembewusstsein von Politik entwickelt werden, das es möglich macht, anders als in den etablierten Formen von Politik über gesellschaftliche Probleme nachzudenken.
Kontakt: Philipp (
)
Termin: Mittwochs 14:25 – 15:55 Uhr
Erste Sitzung: 26. April
Raum: S1|02/331
Zivilgesellschaft und Bandenherrschaft. Modi kapitalistischer Krisenbewältigung
Die Begriffe „Zivilgesellschaft“ und „Bandenherrschaft“ scheinen zunächst recht unterschiedliche Dinge zu bezeichnen. Jedoch, so die These des Tutoriums, besteht eine gewisse Verwandtschaft zwischen ihnen. Nämlich in dem Sinne, dass mit diesen soziologischen oder sozialgeschichtlichen Stichworten Modi kapitalistischer Krisenbewältigung bezeichnet werden können.
In Zeiten politischer und ökonomischer Krisen kommt es gemeinhin zu Konflikten zwischen einzelnen Parteien und Interessengruppen. Alte Machtverhältnisse oder errungene Übereinkünfte weichen neuen Formationen. Teils stellen sich diese Änderungen als Folge von „Sachzwängen“ dar, teils sind sie vorbereitete Projekte einer Fraktion.
Das jüngste Beispiel liefert die Energiekrise in Folge des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine. Während kaum über die verfehlte Energiepolitik gesprochen wurde, empfahl man indes jenen, die die Energiepreise nicht mehr zahlen konnten, kalt zu duschen und einen zweiten Strickpullover anzuziehen. Im aktivierenden Appell an die Zivilgesellschaft werden Fragen staatlicher Fürsorge und Versorgung an private Akteure delegiert.
Auch die NS-Volksgemeinschaft kann in diesem Sinne als Modus der Krisenbewältigung, als ein Verfallsprodukt des liberalen Rechtsstaats des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, gesehen werden, in welcher eine abstrakte rule of law durch eine völkische (Banden-)Herrschaft ersetzt wurde, die die an der Gesellschaft gemachte Beute unter sich aufteilt.
In jedem Fall sind Zivilgesellschaft wie Bandenherrschaft Formationen des Zerfalls von Liberalität und Individualität, des krisenförmigen Mitmachens und Mobilisierens im großen „Wir“, des Eintopfsonntags im Steckrübenwinter, der Entpolitisierung politischer Entscheidungen und der Abwicklung erkämpfter ökonomischer, sozialer und politischer Rechte.
Grundsätzliche Ideen zur Behandlung des Themas stammen aus der kritischen Theorie. Hier können die Fragmente Max Horkheimers zur Rackettheorie einen Ausgangspunkt bilden. Das Buch zur Rackettheorie von Thorsten Fuchshuber schließt daran an. Iran und Russland wären aktuelle Beispiele, an denen die Plausibilität der Ansätze überprüft werden könnte.
Kontakt: Johannes (
)
Termin: Mittwochs 16:15 – 17:45
Erste Sitzung: 26. April
Raum: S1|03/110
(Gehirn == Computer && Bewusstsein == Simulation)
Das Gehirn ist ein Computer, unsere Wahrnehmung ist das Ergebnis von elektrischen Impulsen und das Bewusstsein eine virtuelle Simulation der echten Welt. Von Marvel und Matrix über Sigma Grindset bis hin zum Diskurs über ChatGPT werden wir regelmäßig mit solchen Bewusstseinstheorien konfrontiert, und sie scheinen intuitiv und allgemein akzeptiert.
Aber sind sie wirklich fundiert und gute Maßstäbe, um die Welt zu betrachten? Oder reicht ein solcher Reduktionismus nicht aus, und es gibt dazu noch weit mehr zu sagen? Wir möchten uns genauer anschauen, woher solche Intuitionen über das Bewusstsein kommen, inwiefern sie kritikwürdig sind, und wie sie sich im gesellschaftlichen Diskurs und in der Popkultur bemerkbar machen.
Dafür werden wir uns mit vielen unterschiedlichen Ansätzen und Theorien aus der Kognitionswissenschaft und der Philosophie beschäftigen, wie der Informationsverarbeitungstheorie, Christof Koch's NCCs, Evolutions-Ansätze bei Ginsburg, Autopoiese bei Varela und Maturana, und auch Phänomenologische Ansätze bei Johnson und Sensorimotor Control.
Lasst euch nicht abschrecken, wenn das ausschließlich Fremdwörter waren, genau die möchten wir ja behandeln und lernen. Teilnehmerinnen aller Disziplinen sind willkommen und erwünscht! Lasst es uns auch gerne wissen, wenn ihr an dem Termin nicht könnt.
Kontakt: Levin und Jan (
)
Termin: Donnerstag 13:30 – 16:00 Uhr [Termin und Raum wurde aktualisiert!]
Erste Sitzung: 27. April
Raum: S1|02/344
Wenn Wahlen gar nichts ändern. Demokratie in der Klassengesellschaft
„Das sprichwörtliche schmutzige Geschäft gehört nun einmal zur Politik wie das Weihwasser zur Taufe…“ – Jörg Fauser
Hartz IV wurde von einer rot-grünen Regierung eingeführt; eine rot-grün-gelbe hat seinen Namen in „Bürgergeld“ geändert. Wenn „linke“ Regierungen ein Verarmungsprogramm durchsetzen, könnte man sich fragen: Macht es überhaupt einen Unterschied, wer regiert? Im Tutorium beschäftigen wir uns mit Autoren, die meinten: eher nicht.
Einer von ihnen war der Politikwissenschaftler Johannes Agnoli. Manchen galt er als genialer Kritiker der Politik und Vordenker der Außerparlamentarischen Opposition, anderen als linksfaschistischer Verschwörungstheoretiker. Erfrischend unvorsichtig und polemisch denunzierte Agnoli die demokratischen Institutionen. Es wird aber nicht nur um ihn gehen. Wir unternehmen Ausflüge zu Otto Kirchheimers Kritik des Parlamentarismus sowie zur Staatsableitungsdebatte der 1970er Jahre – und reden bestimmt auch über amtierende Politiker.
Vorkenntnisse in marxistischer oder anarchistischer Theorie sind hilfreich. Man muss sie aber nicht jahrelang gebuckelt haben. Wichtiger ist die Bereitschaft, sich auf Überlegungen einzulassen, die nicht in der Zeitung stehen.
Kontakt: Lucas (
)
Termin: Donnerstags 16:00 – 17:30 Uhr
Erste Sitzung: 27. April
Raum: S1|03/015
Revolution für das Leben
Der Begriff der Revolution ist schillernd. Häufig verbinden wir Revolution mit großen Ereignissen, schlagartigen Änderungen und möglicherweise mit einem militanten Aufstand voller Heldentum. Doch welchen Sinn hat der Begriff der Revolution heute?
Die Philosophin Eva von Redecker stellt die These auf, dass gegenwärtige Bewegungen wie Fridays for Future, Black Lives Matter oder feministische Streiks für das Leben kämpfen. Grundlagen unseres Lebens werden geschützt und neue Formen des Umgangs mit Leben erprobt. Dabei kommen Fragen auf, wie wir anders zusammenleben können, wie wir uns umeinander Sorgen können und welche neuen Strukturen von Verantwortlichkeit aufgebaut werden müssen. Nicht nur unter Menschen, sondern auch im Verhältnis zu unserer Umwelt.
Im Tutorium werden diese neuen Formen und Kämpfe um eine neue Reproduktionsarbeit besprochen und diskutiert. Als Quellen werden wir Eva Redecker, Bini Adamczak, aber auch Ressourcen von Black Lives Matter, Fridays for Future sowie von Feministischen Streiks nutzen. Im Tutorium werden nicht nur Texte als Grundlage genutzt, sondern auch andere Medien wie Podcasts und Dokumentationen zum Verständnis des Themas herangezogen.
Kontakt: Johanna (
)
Termin: Donnerstags 18:05 – 19:35 Uhr
Erste Sitzung: 27. April
Raum: S1|03/312